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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition)
Autoren: Zoran Drvenkar
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zurückfallen.
    Er gleitet in seinen Gedanken davon. Sein Körper kümmert sich um die Verletzungen, der Heilprozess ruht nicht. Die einzigen Wunden, die sich gegen jede Heilung wehren, sind die Wunden auf dem Rücken, wo einst die Flügel waren. Und so schläft er, und so träumt er von einer anderen Zeit, die geduldig auf ihn wartet. Es fühlt sich an wie Sekunden, es vergehen zwei Stunden, dann fliegt die Tür auf.
    Lars stürmt rein und reißt die Bettdecke weg.
    »Schnell, zieh dich an.«
    »Was?«
    »Nun mach schon, Motte ist auf dem Friedhof, er ist auf dem Scheißfriedhof!«
    Auf einem Stuhl warten Hosen und Hemden, die Rike von ihrem Vater rausgesucht hat. Sie finden Turnschuhe, die zu klein sind, also steigt Esko in ein Paar ausgelatschte Sandalen hinein. So stürmen sie in den Tag hinaus, Rike wartet schon hinter dem Steuer des Volvos. Lars sagt, sie würde noch schlechter fahren als er. Rike sagt, er kann ja laufen, wenn er will. Esko rutscht auf den Rücksitz, Lars setzt sich nach vorne, Rike gibt Gas.

DAS MÄDCHEN
    E s ist der Morgen von Mottes Beerdigung, und die Gräfinnen wollen nicht, dass Mona mit zum Friedhof kommt. Sie sitzen beim Frühstück und Pia sagt:
    »Es ist zu gefährlich. Wir wissen nicht, was Lazar im Schilde führt. Er hat schon mal einen Schützen auf dich angesetzt. Niemand kann dich auf die Entfernung vor einer Kugel schützen.«
    »Und wer schützt euch?«, fragt Mona.
    »Die Bruderschaft hat keine Ahnung, wer wir wirklich sind. Was auch immer sie über die Familie denken, vier Rentner passen nicht in das Bild hinein. Sie wissen aber, wer du bist, deswegen ist es besser für dich, hierzubleiben. Die Villa ist bewacht, niemand kann dir hier was.«
    »Und was macht ihr, wenn Esko zur Beerdigung kommt?«
    »Da hat sie einen Punkt«, sagt der Zar.
    Sie drehen sich alle um, der Zar steht in der Küche und sieht furchtbar aus.
    »Ich weiß, ich sehe furchtbar aus«, sagt er.
    »Wie geht es dir?«, fragt Natascha.
    »Ich will einfach nur tot sein«, antwortet der Zar und nimmt den Becher Kaffee von Kolja entgegen. »Im Gegensatz zu diesem Teufelskerl.«
    »Ich leide auch«, sagt Kolja. »Ich jammere nur nicht.«
    »Ganz wie der Vater«, sagt Pia.
    »Ich bin nicht sein Vater!«, entrüstet sich der Zar.
    »Das hat auch niemand behauptet«, sagt Natascha.
    Der Zar seufzt.
    »Es gibt keinen Knochen, der mir nicht wehtut.«
    »Was denkst du, wie es uns geht?«, fragt Natascha.
    Mona beobachtet sie. Vier alte Leute, die so tun, als wäre es ein normaler Morgen in Berlin. Es geht ihr sehr gegen den Strich, dass sie nicht mitgehen darf. Aber sie weiß, auf welchem Friedhof Motte beerdigt werden soll. Und sie weiß, dass sie nichts davon abhalten wird, dorthinzukommen.
    »Ihr wisst ja nicht einmal, wie Esko aussieht«, sagt sie.
    »Wir werden ihn schon erkennen, wenn wir ihn sehen«, sagt Natascha. »Wenn wir keinen Engel erkennen, dann können wir auch gleich tot sein.«
    Eine halbe Stunde später steht Mona in ihrem Zimmer, während Pia die Tür verschließt. Sie haben ihr versprochen, die Beerdigung würde nicht mehr als zwei Stunden dauern. Mona hat nicht vor, zu warten. Sie setzt sich auf den Bettrand und hört, wie Kolja den Wagen vorfährt und die Gräfinnen mit dem Zaren einsteigen. Dann entfernt sich das Auto und es ist draußen wieder still.
    Mona wartet noch ein wenig länger. Sie hat vorhin im Internet nachgeschaut und die Adresse des Friedhofs gefunden. Sie hat sich auch eine Taxinummer rausgesucht. Nichts und niemand wird sie aufhalten. Der Fernseher im Erdgeschoss erwacht zum Leben. Wahrscheinlich sitzt der Sicherheitsmann jetzt gemütlich vor einer Talkshow. Mona ist bereit. Sie schließt die Augen und konzentriert sich. Ein kleiner Schritt reicht, denkt sie und geht nur einen kleinen Schritt in ihrer Erinnerung zurück. Es fällt ihr viel leichter als am Anfang. Sie dirigiert die Erinnerung und leitet sie nach ihrem Belieben und befindet sich wieder mit Pia auf der Treppe nach oben zu ihrem Zimmer und hört die Gräfin sagen:
    »Es ist zu deinem Besten, Mona.«
    »Ihr habt Angst, dass ich weglaufe, das ist es.«
    »Das auch.«
    »Also ist es zu eurem Besten.«
    Der Mund der Gräfin verzieht sich für einen Moment. Niemand mag eine Besserwisserin und Mona weiß es im Moment leider besser. Der Familie rennt die Zeit davon, und Mona hat noch immer nicht erfahren, was sie von ihr wollen. Mit jeder Stunde wird die Unruhe größer.
    »Warum habt ihr Angst, dass ich weglaufe?«, fragt
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