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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition)
Autoren: Zoran Drvenkar
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beobachtet. Und sieht wieder aufs Wasser. Eine Lüge ist eine Lüge, denkt sie, denn auch wenn sie todmüde ist, weiß sie, wie sich eine Lüge anhört.

DAS MÄDCHEN
    M ona ist todmüde. Ihr Zuhause ist abgebrannt und ihre Schwestern sind gestorben und wiedergekehrt. Sie ist innerhalb von zwei Tagen von Irland nach England nach Schottland gereist und von Schottland in die Niederlande und von da aus nach Deutschland. Genau vor einer Woche hat sie das erste Mal eine Erinnerung berührt, und langsam lernt sie, diese Gabe zu kontrollieren. So wie sie lernt, ihr Bewusstsein mit einer Königin zu teilen, die vor einer halben Million Jahren gestorben ist. Mona will schlafen. Sie hat einen Engel ohne Flügel in die Gegenwart geholt, sie hat einen Söldner getötet und einen Mörder an ihre toten Schwestern ausgeliefert und ist in der Nacht durch einen See geschwommen, um die Menschen zu erreichen, die ihre Schwestern und sie gezeugt haben.
    Mona findet, sie hat viele gute Gründe, müde zu sein.
    Und dann sind da die Gräfinnen. Mona gibt sich Mühe, sie als Familie zu sehen. Zwei harmlose alte Damen, die ihr an einem Sonntagmorgen beim Frühstück gegenübersitzen und von der Vergangenheit erzählen. Aber Mona hat genug gehört, sie will Antworten.
    »Wer sind meine Eltern?«, fragt sie.
    Die Gräfinnen schütteln die Köpfe.
    »Wir sind deine Eltern, alles andere ist nur Biologie, Kleines.«
    »Wisst ihr nicht, wer sie sind?!«
    »Du hörst uns nicht zu«, sagt Pia. » Wir sind deine Eltern. Vielleicht gibt es noch eine Akte im Archiv, aber ich bezweifle das. Jean-Luc wusste, was wir aufbewahren wollten, und er wusste, was unwichtig war.«
    »Wie kann ich Mona und Königin Theia gleichzeitig sein?«
    Pia wechselt einen kurzen Blick mit Natascha, dann sagt sie:
    »Als die Skelette gefunden wurden, dachten wir, sie wären Überreste von zwei Engeln. Die Flügel haben uns alle getäuscht. Aber dann entdeckten Natascha und ich, dass eines der Skelette kein Engel, sondern eine Königin war. Sie sprach zu uns, Mona, sie sagte uns, was zu tun war. Aus ihren Knochen haben wir dich geschaffen, aus ihrer DNA bist du erwachsen. Deswegen teilst du ihre Erinnerung, deswegen teilte auch deine Freundin Jasmin dieselbe Erinnerung, so wie alle deine Schwestern sie geteilt hätten, wären sie noch am Leben. Ihr wart alle gleich, denn ihr seid alle ein Teil einer Königin, die mit ihrer Schwester in den Krieg gezogen ist, um die Kraft der Engel zu bändigen. Sie wurden die Blutsgeschwister genannt, und sie haben ihr gesamtes Volk in den Untergang geführt, um die Herrschaft der Engel zu beenden.«
    »Aber warum?«
    »Warum was?«
    »Warum wollten sie die Engel auslöschen?«
    »Das«, sagte Natascha, »wird dir Königin Theia eines Tages selbst erklären, vertrau darauf.«
    Der Sicherheitsdienst hat sich auf die Villa verteilt. Ein Mann patroulliert am Ufer des Sees entlang, einer sitzt auf der Dachterrasse, der dritte beobachtet den Eingang der Villa, während sich der vierte in der Villa aufhält. Zwei weitere Sicherheitsmänner sind am Ufer des Wannsees gewesen, haben aber keine Spur von Esko oder Lars gefunden.
    Mona bleibt den Sonntag über in der Obhut der Gräfinnen, sie kochen zusammen, sie spielen Karten, während der Zar mit Kolja durch Berlin fährt und versucht, Mottes Vater aufzuspüren. Die Gräfinnen wissen, dass Mona nicht mehr lange durchhalten wird. Ihr Wille ist zwar stark, aber die Erschöpfung wird irgendwann die Oberhand gewinnen, und dann hilft auch kein Wille mehr.
    Der Zar kehrt mit Kolja erst spät in der Nacht zurück. Sie haben nichts erreicht. Erik Hakonson bleibt spurlos verschwunden. Der Sonntag endet erfolglos. Die Gräfinnen können ihre Enttäuschung nicht verbergen. Sie bitten Mona, sie einen Moment alleine mit dem Zaren zu lassen. Mona tritt auf die Terrasse und hört durch die offenen Fenster, wie in der Küche auf Russisch diskutiert wird. Und da steht sie und starrt in die Dunkelheit. Die Worte verschwimmen und werden zu einem Rauschen, und das Rauschen erinnert Mona an die Brandung in der Nacht, die sie immer beruhigt hat, wenn sie von einem Albtraum aus dem Schlaf gerissen wurde. Monas Augen brennen. Sie würde eine Menge dafür geben, jetzt im Haus der Kormorane in ihrem Bett zu liegen. Sie schließt die Augen für einen Moment und versucht, eine Verbindung zu Esko zu schaffen. Sie hat es schon mehrmals probiert. Ein Gedanke von ihm würde ihr reichen, damit sie weiß, dass es dem Engel gut geht. Es
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