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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition)
Autoren: Zoran Drvenkar
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kommt kein Gedanke. Es fühlt sich an, als wäre Esko nie gewesen.

ESKO
    E s ist Nacht und sie sitzt auf einem Stuhl und hat die Beine hochgelegt. Ihre Fußsohlen sind dreckig, und ihr linker Zeh wippt zu einer Musik, die nur sie hört. Sie hat einen Nasenring, ihre Augen sind mandelförmig geschminkt und die Brauen zwei dünne Bögen, die den Schwung der Augen nachahmen. Ihr Gesicht ist von schwarzen Haaren gerahmt und wirkt so zerbrechlich, als könnte eine Schneeflocke eine Wunde hinterlassen. Sie trägt ein Kleid mit einem runden Halsausschnitt. Es ist rostfarben und lässt ihre blasse Haut leuchten. Wenige Zentimeter unter ihrem linken Ohr hat sie ein kleines Dreieck mit einem Punkt im Zentrum eintätowiert. Der Puls schlägt genau an der Stelle, wo der Punkt sich befindet. Esko kann nicht wegsehen. Als hätte sie seinen Blick bemerkt, kratzt sie sich genau an der Stelle und gähnt. Ihre Zähne sind spitz und wirken winzig. Sie schreibt in ein Notizbuch, das auf ihrem Schoß liegt.
    Esko schließt die Augen wieder.
    Er hat keine Idee, wo er sich befindet. Sein Magen schmerzt und das Gehirn fühlt sich zu groß an für seinen Schädel. Er will fragen, was passiert ist, und schläft wieder ein.
    Es ist Morgen und er wird vom Licht geweckt. Die Sonne scheint durch das Fenster, es duftet nach Sandelholz und Sommer. Esko setzt sich auf und verzieht das Gesicht. Seine Hand tastet über die Rippen. Der Verband ist an zwei Stellen blutdurchtränkt. Er sinkt zurück ins Kissen und ist von der Anstrengung in Schweiß gebadet.
    »Keine Sorge, das Schlimmste ist vorbei.«
    Esko schaut zur Tür. Sie lehnt im Türrahmen und hält ein Tablett in der Hand. Ihr linker Fuß liegt auf dem rechten, Dampf steigt aus einem Becher auf. Sie kommt in das Zimmer und setzt das Tablett auf dem Nachttisch ab. Während Esko geschlafen hat, saß sie am Bettende und versuchte, sich auf sein Gesicht zu fokussieren. Es war vergeblich. Irgendwann tränten ihr vor Anstrengung die Augen.
    »Kannst du wieder normal reden?«, fragt sie.
    Esko runzelt die Stirn.
    »Vorhin hast du so ein Zeugs gequasselt. Klumbawumba und so.«
    »Ich muss geträumt haben.«
    Sie macht große Augen.
    »Vielleicht ist das hier nur ein Traum«, sagt sie erschrocken.
    »Was?«
    Sie lacht und zieht sich einen Stuhl ran.
    »Das ist aus einem Film. Geht es dir besser?«
    Esko berührt den Verband.
    »Was ist passiert?«
    »Da fragst du die Falsche. Warte, wenn Lars dich sieht. Der war völlig am Durchdrehen, als er dich hergebracht hat. Der Arme dachte, du stirbst ihm weg. Ich wusste, du stirbst nicht. Hier.«
    Sie holt ein Kartenspiel aus ihrem Kleid.
    »Diese Karte habe ich gezogen, und da wusste ich dann, alles wird gut.«
    Sie zeigt Esko eine der Tarotkarten. Ein Engel gießt Wasser von einem Becher in den anderen. Der Engel ist blond, Esko hat braunes Haar, der Engel trägt ein weißes Nachthemd, Esko ist bis auf den Verband nackt. Unter der Karte steht Mäßigkeit.
    »Mäßigkeit?«
    »Vergiss Mäßigkeit. Das steht nur so drauf. Ich habe das Tarot gefragt, wie es denn mit dir weitergeht, und da kam die Karte. Irre, was?«
    »Beeindruckend. Und du bist …«
    »… Rike. Und du heißt Esko. Ich weiß. Rike und Esko, wir könnten eine Band gründen.«
    Sie legt den Kopf schräg, als müsste sie einen Moment lang darüber nachdenken.
    »Lars meint, du wärst im Original ein Engel, der Pech gehabt hat. Wahr oder unwahr?«
    »Wahr.«
    »Und wieso kann ich dir nicht länger als eine Sekunde ins Gesicht sehen?«
    »Ich bin zu alt. Ich bin –«
    »Mann, du lebst!«
    Esko schaut über Rikes Schulter, Rike dreht sich um, Lars steht im Zimmer, er trägt einen schwarzen Anzug, der ihm etwas zu groß ist.
    »Du siehst unheimlich aus«, sagt Rike.
    »Und du hast dich noch nicht umgezogen, es ist schon halb zehn.«
    Rike stürmt aus dem Zimmer. Lars setzt sich ans Bett.
    »Alter, ich dachte echt, du gibst den Löffel ab«, sagt er.
    »Ich sterbe nicht so leicht. Wo ist Mona?«
    »Die Rentner haben sie ins Boot gezogen. Ich habe auf halbem Weg kehrtgemacht, weil ich mir dachte, Esko hat schon genug an der Backe, den rette ich mal. Außerdem ist mir die Knarre eingefallen. Mann, wie konntest du die Knarre vergessen?«
    »Ich dachte, ich schaff das auch so.«
    Esko reibt sich den Nacken.
    »Ich erinnere mich an den Sturz und dass mir der Söldner hinterhergesprungen ist. Ich habe noch gehört, wie ihr geredet habt. Du hast ihm erzählt, du wärst im Schützenverein.«
    Lars
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