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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis
Autoren: Scott Turow
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erklärte er Brand. »Zu viel Geschichte.«
    Brand zuckte mit einer Schulter. Er war ein kräftiger Bursche, hatte es als Student gleich in die Footballauswahl der Uni geschafft. Das war zwanzig Jahre her. Er hatte einen massigen Kopf und nicht mehr viele Haare darauf. Und er schüttelte ihn langsam.
    »Du kannst doch nicht immer die Finger von einem Fall lassen, wenn du es möglicherweise zum zweiten Mal mit ein und demselben Angeklagten zu tun kriegst. Soll ich mal die Akten durchforsten und nachschauen, wie viele Anklageschriften du schon gegen Typen unterschrieben hast, die beim ersten Mal ungeschoren davongekommen sind?«
    »Irgendeiner dabei, der demnächst ins Oberste Bundesstaatsgericht gewählt wird? Rusty wirft einen langen Schatten, Jimmy.«
    »Ich mein ja nur«, sagte Brand.
    »Warten wir den Obduktionsbericht ab. Bis dahin unternehmen wir gar nichts. Keine neugierigen Cops, die Rusty unter die Lupe nehmen. Keinerlei Maßnahmen von unserer Seite. Keine Ladung vor eine Anklagejury oder irgendwas in der Art, ehe wir nichts Handfestes haben. Was nicht der Fall sein wird. Wir alle können von Rusty Sabich halten, was wir wollen. Aber er ist ein cleverer Bursche. Richtig clever. Lass die Nearing-Polizei weiter im Sandkasten spielen, bis wir von der Rechtsmedizin hören. Das ist alles.«
    Brand war alles andere als begeistert, das sah Tommy ihm an. Aber er war bei den Marines gewesen und akzeptierte die Befehlskette. Er verabschiedete sich mit der leisen Missbilligung, die immer mitschwang, wenn er sagte: »Ganz wie du meinst, Boss.«
    Nachdem Brand gegangen war, dachte Tommy kurz über Barbara Sabich nach. Als junge Frau war sie ein richtiger Feger gewesen, dunkles lockiges Haar, Superfigur und ein harter Blick, der den Männern signalisierte, dass keiner sie je wirklich haben würde. In den letzten zwei Jahrzehnten hatte Tommy sie kaum gesehen. Sie hatte nicht die gleichen Verpflichtungen wie ihr Mann und war Molto vermutlich aus dem Weg gegangen. Damals, während Sabichs Prozess, saß sie jeden Tag im Gericht und durchbohrte Tommy mit wütenden Blicken, wenn er mal zu ihr rüberschaute. Was macht dich so sicher?, hätte er sie manchmal gern gefragt. Die Antwort hatte sie nun mit ins Grab genommen. Wie er es sich seit seiner Zeit als Messdiener angewöhnt hatte, begann Tommy, ein kurzes Gebet für die Tote zu sprechen. Himmlischer Vater, nimm die Seele von Barbara Sabich in Gnaden auf. Tommy fiel ein, dass sie Jüdin war und sich aus seinen Gebeten nichts machen würde, und sogar vor Rustys Anklage hatte sie sich aus Tommy nicht viel gemacht. Derselbe schwelende Schmerz, den Tommy sein ganzes Leben lang bei Menschen empfunden hatte, die ihn kränkten und ablehnten, stieg in ihm auf, und er rang ihn nieder, ein weiterer seiner tief verwurzelten Reflexe. Er würde trotzdem für sie beten. Neigungen wie diese waren es, die Dominga in ihm erkannt und lieben gelernt hatte. Sie wusste, dass Tommy ein gutes Herz hatte, im Gegensatz zu allen anderen - außer seiner Mutter, die vor fünf Jahren verstorben war.
    Bei dem Gedanken an seine junge Frau, leicht mollig, üppig an den richtigen Stellen, wurde Tommy für einen Moment von Verlangen überwältigt. Er spürte, wie er unter der Gürtellinie anschwoll. Es war keine Sünde, die eigene Frau zu begehren, so hatte er beschlossen. Wahrscheinlich hatte Rusty Barbara ebenso begehrt. Nun war sie nicht mehr da. Nimm sie zu Dir, Herr, dachte er erneut. Dann schaute er sich im Raum um und überlegte wieder, inwieweit er wohl ein anderer geworden war.
     
    Rustys Geburtstag 19.03.2007 - Barbaras Tod 29.09.2008 - Die Wahl 04.11.2008
     

Kapitel 3
    Rusty, 19. März 2007
     
    Das siebzig Jahre alte Hauptjustizgebäude aus rotem Backstein mit weißen Säulen wurde in den 198oern mit Bundesmitteln zur Verbrechensbekämpfung renoviert. Das meiste Geld floss in die Neuausstattung der Gerichtssäle für Strafprozesse in den unteren Stockwerken, aber auch die Unterbringung des Berufungsgerichts in der obersten Etage hat einen ordentlichen Batzen gekostet. Die Millionen wurden in der Hoffnung investiert, dieses Gebiet, das durch die tiefe Straßenschlucht der US 843 von der Innenstadt getrennt ist, neu beleben zu können, aber die Verteidiger brausen in ihren Luxusautos von dannen, sobald die Verhandlung zu Ende ist, und nur wenige Händler sind geneigt, sich in einem Viertel niederzulassen, dessen Besucher hauptsächlich aus angeklagten Kriminellen bestehen. Der Betonplatz zwischen
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