Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss
Autoren: Carsten Sebastian Henn
Vom Netzwerk:
als
meine. Er brauchte diese Arbeit als Sprungbrett für seine Karriere. Erst im
Nachhinein wurde mir klar, dass er mich immer schon ausgenutzt hatte, dass ich
nur seine Trittleiter gewesen war. Aber all die Jahre dachte ich, wir wären
Freunde, würden einander helfen. Dabei habe nur ich ihm geholfen, nie
umgekehrt.« Er nahm einen großen Schluck Ale.
    Â»Den Teil mit der Forschungsarbeit kann ich bestätigen«, erklärte
Bietigheim. »Ich bin in den Unterlagen des Instituts darauf gestoßen. Auch
einige Briefwechsel zur Urheberschaft sind mir in die Hände gefallen. Es war
der Einstieg des Earls in die Welt der Wissenschaft – und Colin Inniskeens
Niedergang.«
    Â»Liz trennte sich damals von mir.« Er warf der Countess von Shropsborough
einen Blick zu, in dem sich Enttäuschung und Liebe vermengten. »Ich kann sie
verstehen. Damals war ich verbittert, gebrochen, nicht mehr der Mann, den sie
einmal geliebt hatte. Der Kontakt brach völlig ab, ich ging ins Ausland, dann
in den Norden Englands, meinen gesamten Freundeskreis ließ ich hinter mir und
fing ein neues Leben an. Aber nicht, weil ich es wollte. Sondern weil es anders
nicht mehr zu ertragen war. Dann kam ich zurück nach Cambridge, war gerade zwei
Tage da, und er lief mir über den Weg, besoffen, und erzählte mir, dass er,
gerade er, dieser elende Hund, nun mit Liz verheiratet sei. Er hat geprahlt,
mich verhöhnt, ausgelacht …«
    Colin schluckte. Mehrmals. Die Erinnerungen der Nacht fielen wie ein
Schleier über seine Augen. »Ich war wütend, nein, das stimmt nicht, ich habe
ihn gehasst. Aus tiefstem Herzen. Es kam alles wieder hoch. Ich riss ihm seine
Whiskyflasche aus der Hand und schlug zu. Nur einmal. Aber in diesem Schlag lag
der jahrelange Hass auf ihn, aber auch der Hass auf mich. Ich wollte ihn
umhauen, ihm Schmerzen versetzen, ihn zum Schweigen bringen. Aber ich habe ihn
umgebracht. Ich bin zum Mörder geworden. Seinetwegen. Er hatte mich gebrochen
und nun auch noch in die Hölle gestoßen. Ich bin danach einfach weggerannt, weg
von ihm, von dem, was geschehen war, von meiner Schuld, die ganze Nacht rannte
ich, bis ich in der Nähe von Ely erschöpft zusammenbrach. Am nächsten Tag wurde
die Leiche gefunden, in einem Punting-Boot, eingelegt in White Darjeeling – und
ich fragte mich, ob alles vielleicht nur ein schlechter Traum gewesen war. Denn
das hatte ich nicht getan. Können Sie sich vorstellen, wie ich mich fühlte?
Plötzlich war da die Hoffnung, das alles wäre gar nicht passiert. Ich habe
dieses Geschenk angenommen. Ich habe mir eingeredet, keine Schuld zu tragen,
obwohl ich immer wusste, tief in mir, dass es nicht so war. Einen Mord, den
vergisst man nicht, der brennt sich ein, auf der Netzhaut, in der Seele.«
    Er strich sich über die mit Schweißperlen bedeckte Stirn, bevor er
fortfuhr: »Dann kam der zweite Mord. Hier wusste ich definitiv, dass ich ihn
nicht begangen hatte. Aber genauso klar brach die Illusion, ich hätte den
ersten nicht auf dem Gewissen, zusammen. Und ich fragte mich: Wer spielte hier
mit meiner Tat? Wollte mir jemand einen Doppelmord anhängen? War es eine Falle,
die nur darauf wartete zuzuklappen? Wenn bekannt würde, dass ich Tim getötet
hatte, würde mir ganz sicher auch der zweite Mord in die Schuhe geschoben
werden.«
    Wieder setzte er das Glas an – danach war es leer. Der Besitzer des
Pickerel Inn brachte ihm ungefragt ein neues. »Dann erfuhr ich über Sie,
Professor, dass Tim von Michael Broadbent ins Punting-Boot verfrachtet worden
war. Wusste er von meiner Tat? Benutzte er meinen Mord an Tim, um seinen an
Jonathan Cleesewood zu vertuschen? Ich durfte kein Risiko eingehen. Denn
erstmals seit Jahren ging es bei mir wieder bergauf, die Chance auf einen
echten Neuanfang war da. Deshalb hatte ich nur noch ein Ziel: Michael zum Reden
zu bringen. Mir war nicht klar, was diese Entscheidung in letzter Konsequenz
bedeutete. Nämlich dass ich ihn danach zum Schweigen bringen musste. Vielleicht
wollte ich es einfach nicht wahrhaben. Ich weiß, dass ich Schlechtes,
Schlimmes, Unverzeihliches getan habe. Doch mein Kern ist nicht … böse. Es war
eine Extremsituation, die eine andere nach sich gezogen hat.«
    Â»Mich wollten Sie doch auch töten«, sagte Bietigheim. »Gestern
Nacht.«
    Â»Ja … nein … keine Ahnung. Sie haben sich ausgesprochen großzügig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher