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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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keine
Hinweise, dass ein professioneller Einbrecher sich Zutritt verschafft hätte. Es
wurden Schlüssel benutzt – und zwar die richtigen. Sie mögen einwenden, dass
man sich diese natürlich nachmachen lassen kann. Die Polizei hat diese
Möglichkeit auch in Betracht gezogen – sie haben bei allen Schlüsseldiensten
der Umgebung nachgefragt. Doch Fehlanzeige. Natürlich könnte einer davon lügen.
Doch halten wir uns die Situation noch einmal vor Augen: Michael Broadbent ist
spurlos verschwunden. Erst jetzt weiß der Mörder des Earls, wen er fürchten
muss, wer den toten Earl im Punting-Boot drapiert und womöglich vorher den Mord
beobachtet hat. Erst ab diesem Punkt hätte er Michaels Ermordung planen können.
Nur wie? Der junge Mann ist schließlich verschwunden. Dann kehrt Michael
überraschend zurück. Gleich in der folgenden Nacht wird er umgebracht. Wann
hätte der Täter sich einen Schlüssel besorgen, ihn nachmachen lassen und wieder
unbemerkt zurückbringen sollen? Nein, der Täter muss den Schlüssel bereits
gehabt haben. Also muss er Mitglied der Kirche sein, zum Putzpersonal gehören –
oder zu den Bell Ringers. Wollen wir jetzt alle unsere Taschen leeren und
schauen, wer die Schlüssel hat?«
    Die ersten begannen, ihre Hosentaschen umzudrehen. Bietigheim hatte
eine diebische Freude daran.
    Â»Nein, war nur ein Scherz. Wer würde sie schon bei sich tragen? Aber
ich werde Ihnen zeigen, wer den Earl und Michael getötet hat. Folgen Sie mir,
einer nach dem anderen, nicht drängeln.«
    Während der Trupp die Stufen des Glockenturms herunterschritt,
beäugten sich alle, ob jemand versuchte zu fliehen.
    Doch niemand machte Anstalten dazu.
    Der Professor war enttäuscht. Er hatte gehofft, den Mörder auf diese
Weise stellen zu können. Vielleicht könnte er die Flucht provozieren, indem er
sie dem Täter besonders leicht machte?
    Als sie aus der Kirche traten, begann Bietigheim zu laufen.
    Zuerst herrschte Verwunderung bei den Pub-Quizzern. Doch dann liefen
alle hinterher. Die Gruppe zog sich auseinander. Vor allem durch die fluchenden
Damen mit ihren hohen Absätzen. Aber auch einige Herren waren dank der im Pub
gnadenlos vernichteten Biere nicht mehr gut auf den Beinen.
    So trabten sie wie eine mitternächtliche Jogging-Gruppe, die sich in
Kleidung und Schuhwerk arg vergriffen hatte, durch Cambridge. Bietigheim kam
ins Schwitzen – und immer noch hatte sich niemand aus der Gruppe gelöst. Er
beschloss, ein paar Haken zu schlagen und um Ecken zu sausen, um die
Fluchtchancen weiter zu erhöhen. Auch auf die Gefahr hin, dass er selbst nicht
sofort mitbekäme, wenn sich jemand vom Acker machte.
    Doch immer noch trabten alle brav hintereinander her.
    Erst als er schon nicht mehr daran glaubte, und kurz davorstand, das
Laufen aus Erschöpfung unverzüglich einzustellen, erst als eine dicke
Cumulus-Wolke den Mond verdunkelte und ganz Cambridge auf einmal so dunkel
aussah, als hätte Gott selbst das Licht ausgeknipst, erst in diesem Moment
sprintete der Mörder davon.
    Doch Bietigheim war jetzt zu fertig. Keuchend stand er da. Es ging
einfach nichts mehr. Das Rennen über die Punting-Boote steckte ihm immer noch
in den Knochen. Auch Pit war nicht für eine Verfolgungsjagd zu haben. Er konnte
seine Gegner zwar überrollen, aber ihnen über eine längere Strecke folgen?
Niemals. Benno hätte eine ernsthafte Chance gehabt, aber der kaute an etwas,
was vor gar nicht allzu langer Zeit vielleicht mal eine Ratte gewesen war oder
ein Kohlkopf, so genau ließ sich das nicht sagen.
    Die Port Wine Society hätte die Verfolgung aufnehmen können – lauter
junge, drahtige Menschen, wie gemacht zum Laufen. Aber keiner von ihnen setzte
sich in Bewegung. Sie waren allesamt in Schockstarre.
    Und so floh der Mörder mit raschen Schritten Richtung Fluss. Seine
Sohlen knallten wie Peitschenhiebe auf dem Boden. Problemlos würde er den Cam
durchschwimmen können, um dann auf der anderen Seite weiterzurennen. Zwar
riefen einige auf ihren Handys bereits die Polizei – doch bis die da war …
    So hatte der Professor sich das alles nicht vorgestellt.
    Er wollte den Täter stellen, anstatt ihn wegschwimmen zu lassen.
Doch wie sollte das jetzt noch gelingen?
    War etwa alles umsonst gewesen?
    Zwar war nun allen Anwesenden klar, wer den Earl und Michael
Broadbent auf dem Gewissen hatte, doch in
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