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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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spät, lassen Sie uns keine Zeit verlieren. Folgen Sie mir
nach draußen, es ist nicht weit. Wir stellen nun die Szene des ersten Mordes
nach. Es wird unterhaltsam, glauben Sie mir. Und lehrreich.«
    Die Teilnehmer des Pub-Quiz ließen sich nicht lange bitten. Einige
betrachteten das Ganze offensichtlich als angenehm exzentrischen Spaß. Aber
nicht alle. Gut so.
    Â»Sie, Colin, stellen netterweise den Earl dar. Es ist spät am
Samstagabend, gerade kommen Sie aus Ihrem Lieblingspub, dem Pickerel Inn. Sie
sind ziemlich betrunken und torkeln in Richtung Institut, weil sie dort noch
etwas erledigen möchten.«
    Colin begann zu torkeln. Es dauerte eine ganze Weile, bis er einige
Meter zurückgelegt hatte.
    Â»Torkeln Sie schneller«, sagte Bietigheim.
    Es dauerte trotzdem einige Zeit, bis sie das Institut erreichten.
Dort richtete Bietigheim seinen Zeigefinger auf den Gerichtsmediziner. »Hier
trifft der Earl nun seinen Mörder, den Sie, Dr. Cumberland, bitte darstellen.
Die beiden streiten sich. Vermutlich versuchte der Earl, sich im Gebäude in
Sicherheit zu bringen, doch sein Mörder folgte ihm hinein.« Er schloss die Tür
auf und ließ alle ins Treppenhaus.
    Â»Worüber streiten sie denn?«, fragte Cumberland. »Ich muss das
wissen, um die Rolle glaubwürdig anzulegen. Geben Sie mir irgendwas, womit ich
arbeiten kann.«
    Â»Tja, worüber streitet man erhitzt? Frauen, Geld, Ruhm? Es reicht in
diesem Fall allerdings, wenn Sie es pantomimisch darstellen. Sie, lieber Dr. Cumberland,
werden wütend, wollen ihrem Gegenüber Schmerzen zufügen. Haben aber nichts zur
Hand. Leider wissen wir nicht, womit Sie zuschlagen, aber Sie treffen den Earl
am Hinterkopf. Machen Sie ruhig! Colin, Sie sind betrunken und wehren sich mehr
schlecht als recht. Und dann sind Sie tot. Dr. Cumberland, Sie fliehen. Pit
spielt nun den jungen Michael Broadbent, der an diesem Abend noch lange im
Institut gearbeitet hat. Er kommt die Treppe herunter und sieht die Leiche. Ja,
wirken Sie ruhig erschrocken! Und kommen Sie näher. Wunderbar machen Sie das.
Jetzt erkennen Sie Ihre Chance!«
    Pit ging voll in seiner Rolle auf. Wie ein Stummfilmdarsteller hob
er den Zeigefinger, als ihm die Idee kam. Dann begann er, die vermeintliche
Leiche zu schleppen.
    Es sah schmerzhaft für Colin aus.
    Â»Danke, Pit«, griff der Professor ein. »Aber das wird nicht nötig
sein. Colins Kopf könnte dabei durchscheuern. Außerdem hat Michael gewartet,
bis mit größter Sicherheit niemand mehr vor dem Institut unterwegs war.« Er
half Colin auf die Füße. »Den weißen Tee hatte Michael Broadbent bereits Wochen
vorher gekauft – allerdings nicht, um ihn einer Leiche in den Mund zu füllen,
sondern um ihn zu genießen. Er verschaffte sich Zugang zu dieser Wasserleitung.«
Bietigheim deutete Richtung Wasseranschluss auf der gegenüberliegenden
Straßenseite, als handele es sich um ein Beweisstück. »Mit dem dort stets
bereitliegenden Schlauch ließ er Wasser in den Stechkahn mit der Nummer
achtzehn. Den Tee setzte er im Institut mit heißem Wasser auf, damit sich
Aromen und Farbstoffe lösen konnten. Später gab er ihn zum kalten Wasser im
Kahn dazu. Dann organisierte er sich eine Schubkarre, lud den Earl hinein und
brachte ihn ans Ufer. Es ging alles ganz schnell. Michael band den Stechkahn
los und schob ihn in Richtung Flussmitte, von wo er alleine weitertrieb.«
    Der Großteil des Publikums schien Gefallen an der kleinen Führung zu
finden, doch der Professor sah auch ein Paar nervös zuckender Pupillen. Und
rieb sich innerlich die Hände.
    Â»Lassen Sie uns nun hoch zum Institut gehen, denn dort fand der
zweite Mord statt. Oben in meinem Büro.«
    Â»Sie meinen wohl mein Büro!«, meldete sich
Töler.
    Â»Sparen Sie sich Ihre Widerworte, Kollege. Lassen Sie es sich vom
Master erklären. Oder scheren Sie sich davon. Na, los! Zu Ihren ach so
wichtigen Forschungsarbeiten. Davon gibt es doch unzählige, nicht wahr?« War
das schön, Töler zurechtweisen zu können wie einen ungehorsamen Bengel!
    Bis alle in seinem Büro standen – und zum Teil im Flur des Instituts –, sagte Bietigheim kein Wort mehr. Er ließ die Stille wirken, die hoffentlich
auf das Gewissen des Täters drückte.
    Â»Versetzen wir uns zurück. Es ist Samstag, der Mord am Earl liegt
bereits zwei Monate zurück. Jonathan
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