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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier
Autoren: Horst Bosetzky
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askanischen Fürstengeschlechts. Und außerdem: die Mark Brandenburg war ohnehin verloren für sie. Leer ausgegangen war man in Dessau. Aber sie hingen dennoch an ihm, und er war ja auch in seinem Wesen liebenswürdig geblieben und in wachen Phasen durchaus zugänglich für alles, was die Historie betraf. Erstaunlicherweise vergaß er das eben Gehörte sehr schnell, konnte sich aber noch genau an das erinnern, was gewesen war, als er aus dem Heiligen Land zurückgekommen war, an die große Szene beim Erzbischof in Magdeburg zum Beispiel.
    Wieder lag er auf dem Bett, hatte die Augen geschlossen und versuchte, Bilder herbeizuzaubern, die mit Genuß und Lust verbunden waren. Doch oft gelang es ihm nicht, sie säuberlich zu trennen. Da floß dann das eine in das andere, wie etwa, wenn er gekochte Kirschen in seine Mehlsuppe schüttete. So erschien er zwar jetzt als Pilger aus Jerusalem beim Erzbischof von Magdeburg, der aber saß nicht in seinem Palast, sondern vor den Toren Gransees.
    Als er fast daran verzweifelte, daß sich die beiden Erinnerungsbilder nicht mehr trennen ließen, ging die Tür auf, und es erschien Graf Waldemar, sein Neffe, mit einem Mann neben sich, der wohl ein Ritter war.
    »Besuch für dich«, sagte der Anhaltiner. »Das hier ist Meinhard von Attenweiler aus Franken. Ein weitgereister Mann.«
    »Das ist der Tod!« schrie Rehbock und zog sich die Bettdecke über den Kopf.
    Er hörte, wie die beiden Männer miteinander flüsterten und sich dann wieder aus dem Zimmer entfernten. Mit angehaltenem Atem wartete er ein Weile. Als er dann den Kopf wieder herausstreckte, fuhr er hoch, denn da stand nun ein ganz anderer an seinem Bett. »Bruder Marquardus! Bin ich nun vollkommen blöd geworden!?«
    Der Franziskaner strich ihm über die Stirn. »Nein. Und alles wird jetzt wieder gut. Gleich wirst du die letzte Tür aufmachen können.«
    »Ist das der Tod?«
    »Nein, die Wahrheit. Dieser Meinhard von Attenweiler hat sie herausgefunden und mich suchen lassen, um alles zu bezeugen. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, spricht der Herr, dein Erlöser, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen. Draußen vor der Tür steht eine Frau, die ganz am Anfang war.«
    Damit ging der Franziskaner zur Tür und öffnete sie langsam.
    Rehbock sah es blitzen und hörte es donnern, daß ihm fast die Sinne schwanden, dann aber brach die Sonne aus den Wolken.
    »Adela!« schrie er.
    Ein querliegender Baumstamm hatte das Wasser aufgestaut, jetzt flog er wie ein Pfropfen aus der Flasche, und die Flut schoß heraus und mit ihr aller Unrat, der sich angesammelt hatte. In seinem Kopf strömte und strudelte es, er schlug sich mit beiden Händen an die Schläfen.
    In diesem Augenblick fiel die Krankheit von ihm ab wie der Rost vom Eisen, wenn man es kräftig mit dem Hammer schlägt, und die Wahrheit seines Lebens lag klar und offen vor ihm wie der Sternenhimmel in einer frischen Sommernacht.
    Adela hatte ihn umarmt und mit ihren Tränen genetzt, jetzt lag ihr Kopf an seiner Brust, und er beschrieb den Männern, die um ihn standen – Graf Waldemar von Anhalt, Pater Marquardus und Meinhard von Attenweiler –, wie es begonnen hatte.
    »Ich war zu Gast in der Mühle deines Vaters … Wir hatten die Liebe genossen und streiften durch die Wälder …« Waldemar schloß die Augen, um die Bilder ganz präzise vor sich zu sehen. »Da liegt dein Vater … Unter seinem Pferd, nein: meinem Pferd begraben … Von den Hufen zertrampelt … Bis zur Unkenntlichkeit … Da schießt es in mir hoch: Tausche mit ihm! Denn ich bin voller Sünde und will das Leben als Markgraf nicht mehr … Will nur noch eines: als Pilger ins Heilige Land. Da trete ich hin zu dir und deiner Mutter und sage: ›Hört: Er kommt in meine Gruft, ich in seine Kleider. Als Müller Jakob Rehbock werde ich aufbrechen als Pilger nach Jerusalem!‹«
    »Das kann nur er wissen«, flüsterte Meinhard dem Franziskaner ins Ohr.
    »Ja …« Bruder Marquardus nickte und spann den Faden weiter. »Dann das eingestürzte Gerüst und seine schwere Kopfverletzung … Als er damals wieder erwacht ist, hatte er sein Gedächtnis verloren und mich gefragt, wer er denn sei. ›Jakob Rehbock, der Müller aus der Mark!‹ hab ich ihm geantwortet, anders wußte ich's ja nicht, und das hat sich dann bei ihm eingebrannt ins Hirn. Aber wie ein Müller ist er mir schon damals nicht so recht erschienen, vor dem Unglück an der Grabeskirche, doch
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