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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier
Autoren: Horst Bosetzky
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Psalm. »Der Herr handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, läßt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten.«
    »Du meinst, es läßt sich nicht alles aufrechnen wie bei einem Krämer?«
    »So ist es.«
    »Und was soll ich tun?«
    Wieder überlegte Marquardus eine Weile. »Wenn ihr beharret, werdet ihr euer Leben gewinnen. So steht es geschrieben im Lukasevangelium.«
    Rehbock stand auf. »Ich danke dir, Bruder Marquardus. Ja, die Wege des Herrn sind unergründlich … Vielleicht will er, daß wir uns eines Tages wiedertreffen zwischen Elbe und Oder …«
    »Sein Wille geschehe!«
    Marquardus blickte dem Landsmann nach, der wieder zur Baustelle ging und vom Vorarbeiter angewiesen wurde, unter dem Gerüst in einer hölzernen Bütte Mörtel anzurühren.
    Wie vorher abgesprochen, kam nun Bruder Ludovicus mit einer Pilgerschar von den Xenodochien, den Herbergen, zur Grabeskirche herauf und hatte den Cicerone zu spielen. Das Ganze konnte dauern, denn Hasan, der muslimische Türsteher vor der Grabeskirche, schien heute schlecht gelaunt zu sein, und auch die Beamten des Sultans, die an langen Tischen saßen, würden sich bei der Kontrolle der Papiere nicht übermäßig beeilen.
    Marquardus begrüßte die Italiener, Spanier und Franzosen, die begierig waren, das Grab des Herrn in Augenschein zu nehmen, und hielt ihnen den gängigen Vortrag über die Geschichte Jerusalems und seiner Bauten.
    »Hier hat Jesus Christus gelebt und das Reich Gottes verkündet, von hier hat er seine Jünger ausgesandt, um den wahren Glauben zu verkünden, überall in der Welt. Und hierher wird der Gottessohn zurückkehren am Jüngsten Tag, zu richten die Toten und die Lebenden. Bis dahin aber legt das leere Grab, das wir in Bälde sehen werden, Zeugnis ab von unser aller Hoffnung, an der Seite des Auferstandenen das ewige Leben zu schauen.« An dieser Stelle zitierte er jedesmal aus dem 21. Kapitel der Johannes-Offenbarung: »Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet wie eine geschmückte Braut ihrem Mann. Und er führte mich im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem herniederfahren aus dem Himmel von Gott, die hatte die Herrlichkeit Gottes. Und ihr Licht war gleich dem alleredelsten Stein, einem Jaspis, klar wie Kristall.«
    Nach einer gebührenden Pause, die vom ehrfürchtigen Raunen der Pilger ausgefüllt wurde, kehrte er zu den historischen Fakten zurück. »Nach der Himmelfahrt Jesu blühte Jerusalem noch an die vierzig Jahre. Die Israeliten wurden derweilen von einer Reihe römischer Könige und ihrer Statthalter regiert, bis Titus kam, die Juden überfiel und massakrierte, die Stadt zerstörte und ihren Tempel wie ihre Bücher verbrannte. Auch das Heilige Grab fiel in der Folge der Zerstörung anheim und wurde erst im 4. Jahrhundert unter Kaiser Konstantin wieder ausgegraben, bis dann im Jahre 1009 die erneute Katastrophe nahte, denn Kalif Hakim ließ die Grabeskirche nicht nur plündern, sondern auch zerstören, die Basilika wie den Grabbau selbst. Der Felsen der Grabeshöhle wurde zerschlagen, von der Grabbank blieben nur Reste. Vieles aber ist seither geschehen – und seht daher mit Dankbarkeit das, was zu sehen ist: Der dreistöckige Turm links erhebt sich über der Kapelle der vierzig Märtyrer, rechts davon führt die Treppe zur Kapelle der Schwarzen Maria, und davor wiederum befinden sich die Eingänge zur Michaelis- und Johanniskapelle. Hinter dem Turm erblicken wir die Kuppel der Rotunde über der Grabkapelle. Wenn wir uns nachher im Innern der Grabeskirche befinden, dann …«
    Ein gewaltiges Krachen unterbrach seinen Vortrag. Das Gerüst über dem Eingang zur Johanniskapelle war zusammengebrochen und hatte einige Arbeiter unter sich begraben. Aus der Staubwolke drangen ihre Schmerzensschreie.
    Marquardus eilte zur Unglücksstelle, um Hilfe zu leisten. Einige waren glimpflich davongekommen und beklagten laut die Katastrophe, anderen aber hatten die schweren Balken Kopf und Glieder zerschmettert. Seine Sorge galt vor allem dem Landsmann aus der Mark Brandenburg. Als er Rehbock entdeckte, ließ er jede Hoffnung fahren. Sein Kopf war blutüberströmt, und links oben zeigte sich eine Wunde, als hätte ihn
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