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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier
Autoren: Horst Bosetzky
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Leib, Marquardus bezog es aber auf die ganze Christenheit und ihre derzeitige Rolle hier im Heiligen Land, die eine sehr schmähliche war. Es war eine lange Geschichte …
    Am 27. November 1095 hatte in der südfranzösischen Stadt Clermont Papst Urban II. am Ende eines Konzils die Gläubigen in einer flammenden Rede zu bewegen versucht, Jerusalem und die gesamte Christenheit im Osten von muslimischer Herrschaft zu befreien. Und dann waren sie losgezogen, die miles christiani, die christlichen Ritter, um die Ungläubigen zu verjagen, um Länder zu erobern und Beute zu machen und das zu erhoffen, was der Papst ihnen immer wieder zugesichert hatte: daß ihnen im Jenseits die Strafen für alle Sünden erlassen würden.
    Marquardus war klug genug, um zu wissen, daß sie nicht nur losgezogen waren, um das Wort des Herrn zu verkünden und friedliche Missionsarbeit zu leisten. Der erste Kreuzzug war auch ein voller Erfolg: Am 15. Juli 1099 wurde Jerusalem erstürmt, und es begann – Marquardus kannte die Berichte – ein solches Morden, daß die Christen bis zu den Knöcheln ihrer Füße im Blute der Feinde wateten. Im Anschluß daran kam es dann zur Gründung einer Reihe katholischer Staaten, so des Königreichs Jerusalem mit Gottfried von Bouillon als Herrscher, wohlhabender Städte wie Akkon, Tyrus und Antiochia und einflußreicher Handelsniederlassungen. Der Mangel an Siedlern aus Europa und damit an Kampfkraft wurde wettgemacht durch die Ritterorden, die in Nahost entstanden: die Templer vor allem und später dann der Deutsche Ritterorden. Doch mit Sultan Saladin kam die Wende; 1187 zwang er das christliche Jerusalem zur Kapitulation, und nachher konnten weder Kaiser Barbarossa noch Richard Löwenherz oder Ludwig der Heilige den Niedergang der Kreuzfahrerstaaten aufhalten. 1291 kam dann das Ende, die Muslime hatten auch die letzten Küstenfestungen der Christen – unter ihnen Akkon und Sidon – erobert.
    Marquardus seufzte. Nun, wenigstens war es seinen Franziskanern 1333 gelungen, dem Sultan das Zugeständnis abzuringen, gemeinsam mit den Angehörigen der Orthodoxie und der Morgenländischen Kirche die Wacht an den Heiligen Stätten der Christenheit zu übernehmen und die nach Jerusalem kommenden Pilger angemessen zu betreuen. Ihm und seinen Brüdern hatten die Mameluken kürzlich auch erlaubt, einen Teil der Grabeskirche unter ihre Obhut zu nehmen. In Ausübung der Custodia terrae sanctae saß er also hier und hatte die Bauleute im Auge, die das Gemäuer über dem Eingang zur Johanneskapelle ausbessern sollten. Das war besser, als in der Werkstatt zu hocken und für die Pilger kleine Modelle der Grabeskirche zu basteln. Da hätte er auch zu Hause bleiben können als Schreiner beim Erzbischof in Magdeburg.
    Einer der Männer auf den Gerüsten war ein Landsmann von ihm, der Müller Jakob Rehbock, und er nutzte jede freie Minute, um mit ihm zu reden. Rehbock hatte einige Zeit in Byzanz verbracht, war dort in den Bürgerkrieg hineingeraten, als sich Johannes Kantakuzenos zum Gegenkaiser ausgerufen hatte, und war dann eine Weile bei den Hesychasten zu Gast gewesen, einer mystischen Mönchsbewegung. Ein bißchen überspannt war er zwar, aber doch ein guter Kerl. Marquardus winkte ihm zu, und Rehbock kam auch, als sie eine kleine Pause machten, zu ihm herabgestiegen.
    »Wie fühlst du dich als Maurer heute?« fragte Marquardus.
    Rehbock lachte. »Ein Windmüller ist an Höhe gewöhnt. Oft hab ich an meiner Mühle die Flügel flicken müssen, wenn der Sturm allzu stark über die Oder hinweggefegt ist.«
    »Das klingt nach Heimweh … Deine Frau, deine beiden Töchter, was werden sie machen?«
    Rehbock setzte sich. »Ja … Katharina, Adela, Agnes … Vielleicht sollte ich heimkehren mit dem nächsten Pilgerzug.«
    »Hast du denn das Geld für die Überfahrt beisammen?«
    »Ja, und meine Pilgerampulle ist gefüllt mit dem Öl vom Holze des Lebens der heiligen Stätten.« Er wies auf das kleine Gefäß aus Blei und Zinn, das er, an einem Lederband befestigt, ständig bei sich trug.
    Marquardus nickte. »Ein wertvolles Stück, es hat die Steine berührt, über die der Herr in seinen letzten Stunden geschritten ist.«
    Rehbock sah zum Glockenturm hinauf. »Wenn mir doch nur der Herr ein Zeichen geben würde …«
    »Wofür?«
    »Ob ihm meine Buße genügt für all meine Sünden.«
    »Nun …« Marquardus starrte auf seine Zehen, die ein wenig staubig aus den ausgetretenen Sandalen schauten, und rezitierte den 103.
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