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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier
Autoren: Horst Bosetzky
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war vier Geschosse hoch und trug ein gewaltiges Dach, dessen Ecken mit runden Türmchen verziert waren. Der vergleichsweise schmale Innenhof war zur Straße hin von einer gut drei Mann hohen Mauer abgeschlossen, durch die aber ein breites Tor ins Innere führte. Wer hinein wollte, mußte unter dem Mauerbogen hindurch, den das Wappen des Landesherren schmückte, der rote Adler Brandenburgs. Im Inneren gab es neben vielen kleineren Räumen eine dreischiffige Halle mit zwei Säulenreihen, gotischen Spitzbögen und imposanten Deckengewölben.
    »Da drinnen spricht der Markgraf mit dem Propst, mit dem Bürgermeister und den Ratsherren und manchmal auch mit seinen Rittern«, erklärte Baruch seiner Tochter.
    »Darf ich da mal hinein?«
    »Nein.«
    Er war froh, daß er in diesem Moment – sie waren ein paar Schritte weitergegangen und inzwischen vor dem Franziskanerkloster angekommen – auf den Rabbi stieß, der von einer aufgeregten Frau von etwa vierzig Jahren geradezu angefallen wurde, der Rabbinerin selber.
    »So ein Skandal! So eine Chuzpe! Der Badediener hat zuerst eine Hure ins Bad hineingelassen und mich erst danach. Und dies, obwohl ich noch vor ihr dagewesen bin.«
    Der Rabbiner überlegte eine Weile, bevor er seiner Frau den Arm auf die Schulter legte. »Beruhig dich! Es ist dem Gesetz gemäß geschehen. Der Badediener ist im Recht. Denn auf die Dirne wartet die ganze Stadt und auf dich – nicht mal ich!«
    Die Rabbinerin lief schimpfend davon, die beiden Männer lachten schallend, Leah stand verständnislos da. Auch dem, was die beiden Männer nun beredeten, konnte sie nicht folgen.
    »Hast du was erreicht wegen des Judeneides?« fragte der Rabbi ihren Vater. Es war wirklich an der Zeit, mit der alten Vorschrift Schluß zu machen, daß Juden beim Schwören vor Gericht auf einer Sauhaut zu stehen hatten.
    »Ich habe mit dem Rat gesprochen. Sie wollen gestatten, daß wir den Eid statt dessen auf das Buch Mose schwören, wenn ich ihnen billig Geld leihe.«
    »Wozu?«
    Baruch schmunzelte. »Sie wollen ein neues Freudenhaus aufmachen, nahe der Stadtmauer, in der Rosenstraße. Das hat sie überzeugt, daß das so nicht mehr geht mit dem Eid auf der Schweinehaut – ausgerechnet!«
    Die beiden Männer lachten so herzhaft, daß sich zwei Tagelöhner aus der Spandauer Straße empört nach ihnen umdrehten.
    »Dieses Wucherpack!« sagte der eine.
    »Das Lachen wird ihnen schon vergehen, wenn wir ihnen die Buden ausräuchern«, fügte der andere hinzu.
    Baruch nahm das nicht sonderlich ernst. »Wenn niemand mehr borgen will, borgt noch der Jude.«
    »Und wie werden sie ihre Schuldscheine dann am leichtesten los?« gab der Rabbi zu bedenken.
    Schweigend liefen sie die Brüderstraße hinunter, Leah zwischen ihnen in der Mitte.
    »Gehen wir auf den Jahrmarkt heute?« Sie freute sich schon seit Wochen darauf.
    »Ja …«
    Drei Jahrmärkte hatte Berlin. Der erste wurde auf Lätare gehalten, das heißt, am dritten Sonntag vor Ostern, der dritte auf Kreuzerhöhung oder Crucis, am 14. September also, und der zweite dazwischen, acht Tage nach dem Fronleichnamsfeste beziehungsweise dreieinhalb Wochen nach Pfingsten. Das war in diesem Jahre der 13. Juni.
    Auf dem Neuen Markt vor der Marienkirche schien an diesem Tage ganz Berlin zusammengeströmt, samt der Cöllner vom anderen Ufer der Spree. Aus den Schenken drang schon wüster Lärm, die Handwerksgesellen vertranken und verspielten wieder einmal ihren Lohn, so daß die Meister und die Ratsherren neue Unruhen heraufziehen sahen. Wohlhabende Stutzer stolzierten umher, schauten den Mägden nach und ließen die Glückswürfel rollen.
    Dies alles nahm Leah mit großen, dunklen Augen auf. Die Händler mit ihren Ständen interessierten sie wenig, sie zog es zur Kirche, vor der die Spielleute, Akrobaten und Gaukler ihre Plätze hatten. Von weitem lockte schon ein etwa zehnjähriges Mädchen, das mit einem Fuß auf dem Kopf ihres Vaters stand und selber ein Äffchen auf dem Kopf sitzen hatte. Noch mehr aber bestaunte Leah den großen braunen Bären, der wie ein Mensch nach dem Takte tanzte, den sein Herr auf einem Tamburin schlug.
    Plötzlich näherte sich vom Marienkirchhof her eine Schar von vielleicht zwanzig Männern, Frauen und Kindern. Viele humpelten und trugen dicke Verbände, und die meisten zeigten schreckliche Wunden. Sie weinten und schrien, flehten um Mitleid und hielten den Jahrmarktsbesuchern ihre Bettelnäpfe hin.
    »Eine Kleinigkeit nur, wir verhungern
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