Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier
Autoren: Horst Bosetzky
Vom Netzwerk:
sonst.«
    Baruch sah den Rabbi verwundert an. »Was ist denn das?«
    »Das sind die Leute, die vor den Litauern geflüchtet sind.«
    Einer der Berliner, der Knochenhauer Balzer Brodowin, führte einen Mann am Arm, dem sie die Augen ausgestochen hatten. »Dies, ihr Leute, ist mein Vetter Heinrich aus Arnswalde. Er war ein Fleischer wie ich. Nun ist er blind. Gebt ihm reichlich!«
    Mitleid erfüllte die Berliner, es kochte aber auch eine ungeheure Wut in ihnen hoch, vor allem gegen den Papst und die Kirche, die die Litauer und die Polen ins Land gerufen hatten, damit sie hier töteten, brandschatzten und schändeten, aber auch gegen die Wittelsbacher, die dieses nicht verhindert hatten.
    In diesem Moment ging das Tor der Propstei von St. Marien auf, und heraustreten wollte der Propst von Bernau, Nikolaus, der gerade bei seinem Berliner Amtsbruder Eberhard zu Gast gewesen war.
    »Der Pfaffe da ist schuld an allem!« schrie Balzer Brodowin.
    Andere stimmten ein, denn es war allgemein bekannt, daß der Propst aus Bernau mit dem Bischof Stephan zu Lebus eng zusammenhing, und dieser, so sagte man, habe großen Anteil daran gehabt, daß die Feinde ins Land kamen.
    Als der Propst Nikolaus nun Angst vor der Menge bekam, zog er sich schnell in die Berlinische Propstei zurück.
    »Stecht ihn ab, das Schwein!« schrie einer derer, die den Litauerhorden entkommen waren. »So, wie die uns abgestochen haben.«
    »Holt sie euch doch, die Bernauer Sau!« Balzer Brodowin riß einem der Händler eine Axt vom Tisch und rannte damit zur Propstei.
    Mit Geschrei und Toben stürzte man ihm hinterher. Als der Berliner Propst nicht öffnen wollte, ließ man Balzer Brodowin die Tür in Stücke hauen, und als der das besorgt hatte, stürmte man hinein und suchte den Bernauer. Man fand ihn hinter Mehlsäcken versteckt und schleifte ihn nach draußen.
    »Zum Marienkirchhof mit ihm, zu den Flüchtlingen, damit er mit eigenen Augen sieht, was er da angerichtet hat!«
    Baruch nahm Leah, um mit ihr das Weite zu suchen, denn er ahnte, was geschehen würde. Beim Anblick des schrecklichen Flüchtlingslagers auf dem Friedhof wurde aus dem Zorn der Menge fanatischer Haß. Die ersten Steine prasselten auf den Propst nieder.
    »Schlagt ihn tot wie einen räudigen Hund!« schrie Balzer Brodowin.
    Nikolaus versuchte zu fliehen, kam ein paar Meter weit, wurde dann aber von Balzer Brodowin vorm Portal der Marienkirche niedergeschlagen und von der wütenden Menge zu Tode getrampelt.
    »Verbrennt ihn auch noch auf dem Scheiterhaufen!« verlangten die, die draußen auf dem Markt geblieben waren und auch ihr Schauspiel wollten.
    Man schleppte den Toten unter wütendem Geschrei auf den Neuen Markt, und von überall brachten die Leute Holz herangeschleppt. Balzer Brodowin und drei andere warfen den Propst auf den schnell errichteten Scheiterhaufen und verbrannten ihn unter dem Gejohle der Menge.
    Als der Pfarrer Heinrich zu Eberswalde wenig später vom tragischen Schicksal seines Amtsbruders erfuhr, setzte er sofort ein Schreiben an den Papst auf, in dem er die himmelschreiende Missetat der Cöllner und Berliner schilderte und im Namen der beleidigten Kirche die schwerste Rache forderte. Der Papst verhängte dann – zusätzlich erzürnt, weil man am 21. September 1325 auch noch den Bischof Burchard von Magdeburg totgeschlagen hatte – den Bann über die Schwesterstädte an der Spree, die sich nun unter einem doppelten Interdikt befanden, einmal mit der ganzen Mark wegen der bayerischen Herrschaft und zum anderen wegen der Ermordung des bernauischen Propstes.
    Balzer Brodowin kümmerte es wenig, was die Pfaffen machten, sein Vetter Heinrich aus Arnswalde aber war noch immer beschämt über das, was sich auf dem Neuen Markt ereignet hatte.
    »Es war eine schreckliche Sünde, den Propst zu erschlagen.«
    »Pilgere doch nach Jerusalem!« lachte Balzer Brodowin.

 

    KAPITEL 5
    1335 – Jerusalem
    P ater Marquardus, in brauner Franziskanerkutte, den weißen Strick als Gürtel um den mageren Leib gebunden, saß auf der Treppe zur Kapelle der Schwarzen Maria und las in der Bibel. Im ersten Brief des Paulus an die Korinther suchte er neue Zuversicht.
    »Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft«, sprach er laut im schönsten Latein, daß es über den gepflasterten Vorplatz der Grabeskirche hallte, wo Bauarbeiter dabei waren, die seit langem zerstörte Anlage wiederherzurichten. Paulus hatte mit seinem Satz eigentlich das Fleisch gemeint, den irdischen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher