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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht
Autoren: Helena Brink
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Unser Gespräch ist aufgezeichnet worden.«
    Er starrte an die Decke und fragte sich, ob dieser eitle Geck ihn auch hinters Licht geführt hätte, wäre er bei klarem Bewusstsein gewesen. Die Strapazen der letzten Zeit hatten 472

    seine Kräfte aufgezehrt. Es war der Gesundheit nicht gerade förderlich, in ständiger Todesangst zu leben. Ob er unverzeihlich naiv oder der Bluff des anderen nicht zu durchschauen gewesen war, interessierte ihn nicht mehr. Das Sofa umschloss ihn behaglich. Er fühlte die Müdigkeit kommen und konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal ausgeschlafen hatte. Eigentlich war ihm diese geschwätzige Figur, die da auf dem Couchtisch saß und eine sublime Freundlichkeit ausstrahlte, ganz sympathisch. In seinem jetzigen Zustand hatte er nicht einmal Anlass, sein Schicksal zu verfluchen. Noch vor kurzem hatte er der Katastrophe ins Auge geblickt, und dies hier war zweifellos besser als das, was er sich erwartet hatte. Zumindest würde er noch eine Zeit lang am Leben bleiben, und aus irgendeinem Grund war ihm daran gelegen. Es war ihm so sehr daran gelegen, dass er sogar eine Zusammenarbeit mit der Polizei in Erwägung zog, vorausgesetzt, sie schützten ihn weiterhin. Da ihn die Stille bedrückte, versuchte er den anderen wieder zum Reden zu bringen: »Es spielt zwar keine Rolle, aber woher kannten Sie den aktuellen Namen unserer Leitung?«
    Der Weißhaarige gab ein leises Lachen von sich. »Der Olymp!
    Ihre Auftraggeber haben eine gefährliche Neigung zur Hybris.
    Man kann nur hoffen, dass ihr Hochmut sie endgültig zu Fall bringt. Es wären nicht die ersten Götter, die vom Himmel stürzten. Das war mein einziger Trumpf. Schließlich fliegen nicht alle unsere V-Männer gleich auf. Manche halten sich lange genug, um so einiges aufzuschnappen.«
    »Und die Kommunikationsstörungen?«
    »In dieser Hinsicht habe ich mich von meinem Wunschdenken inspirieren lassen. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie die Situation an dieser Front ist.«
    Das war im Grunde eine Enttäuschung. Er hätte es vorgezogen, wenn die Kommunikationsstörungen wirklich bestanden hätten.
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    Dann wäre er zumindest unfreiwillig isoliert gewesen. Also wollten sie ihm doch keine Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Aber warum hatten sie ihn dann noch nicht umgebracht?
    Der andere beugte sich ihm entgegen und sagte in verändertem Tonfall, der den Polizisten verriet: »Um meinen Kollegen die Arbeit zu erleichtern, können Sie mir gern verraten, ob Sie irgendwelche wichtigen Unterlagen im Haus versteckt haben.
    Früher oder später finden wir sie ohnehin, aber Sie würden sich einen großen Gefallen tun, wenn Sie von Anfang an mit uns zusammenarbeiteten.«
    Sein erster Impuls war zu schweigen. Dieser Ton gefiel ihm überhaupt nicht. Angewidert begriff er seine neue Position. Er, der es gewohnt war, andere zu überwachen und ihnen Befehle zu erteilen, musste sich offenbar an ganz neue Töne gewöhnen.
    Zumindest wollte er auf Gegenleistungen für seine Dienste bestehen. Als hätte er dem anderen gar nicht zugehört, sagte er:
    »Ich mache mir Sorgen um meinen Hund.«
    »Ach so?«
    »Er wird mit einem neuen Besitzer nicht zurechtkommen. Ich habe ihn vier Jahre lang gehabt und selbst aufgezogen. Er ist sehr speziell … Ich will, dass er erschossen wird.«
    »Das lässt sich machen.«
    »Am liebsten würde ich es selbst tun, aber ich bin mit Waffen nicht vertraut. Darum möchte ich Sie bitten, dass ein Kollege von Ihnen das übernimmt, ehe wir den Hof verlassen.«
    »Warum?«
    »Ich will sehen, dass es ordentlich gemacht wird.«
    Der andere zog irritiert die Augenbrauen zusammen und schien Einwände vorbringen zu wollen.
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    »Ich habe hochbrisantes Material versteckt. Sie werden es allein nicht finden, es sei denn, Sie reißen das ganze Haus ab.
    Aber zuerst will ich, dass der Hund erschossen wird.«
    Der Weißhaarige vermied es, sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen, und rief seine Kollegen zu sich.
    Sie beratschlagten sich flüsternd am anderen Ende des Raumes, worauf einer von ihnen, der mit den kurz geschorenen Haaren, hinausging.
    Er zählte die Sekunden, und die anderen Polizisten, denen offenbar nicht wohl bei der Sache war, taten dasselbe. Nach ungefähr zwei Minuten war Cäsars drohendes Knurren zu hören, nach weiteren dreißig Sekunden fiel der Schuss. Er schloss die Augen und stieß erleichtert die Luft aus. Ein seltsamer Gedanke drängte sich ihm auf: Er selbst war gefangen, doch Cäsar war
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