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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht
Autoren: Helena Brink
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weiterzuleiten.«
    Es kostete ihn mehrere zitternde Atemzüge, um die Tragweite dieser Information zu ermessen. Vor allem brauchte er einen Moment, um zu begreifen, dass man mit ihm kommunizieren wollte, anstatt ihn zum Sündenbock zu stempeln.
    »Wer sind die Leute, die im Auto sitzen?«
    »Lokale Polizeibeamte.«
    »Polizei?«
    Sein Gast machte eine ungeduldige Handbewegung und sagte schroff: »Was haben Sie denn erwartet? Ich habe einen doppelten Auftrag. Wie sollte das auch anders sein? Meine Behörde kann nicht länger untätig bleiben. Aus Stockholm und aus Christiansholm sind massive Anfragen zu Ihrer Person eingegangen, und jetzt ist es an uns, etwas zu unternehmen, das auf allen Seiten zur Beruhigung beiträgt. Ich habe dafür gesorgt, dass ich persönlich für den Kontakt zu Ihnen verantwortlich bin.
    Doch mein eigentlicher Auftraggeber ist der Olymp. Ich bin vor allem hier, um Sie zu informieren und Ihren vollständigen Bericht anzuhören.«
    Unwillkürlich stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus.
    Das war fast zu schön, um wahr zu sein. Die Wege des 465

    Schicksals waren wirklich unergründlich. Eben noch hatte er in Todesangst seine Henker erwartet. Nun konnte er unter polizeilicher Bewachung in Seelenruhe seine Erklärung abgeben und die Informationen erhalten, die er so dringend benötigte. Er erlaubte sich sogar ein stilles Lächeln. »Die Polizisten aus dieser Gegend, mit denen ich in letzter Zeit Kontakt hatte, sind nicht gerade durch ihren Scharfsinn aufgefallen. Aber kommen wir zur Sache. Was haben Sie mir mitzuteilen?«
    Sein Gast schaute ihn ernst an. »Ich komme mit schlechten Nachrichten, also sparen Sie sich Ihre Freude. Interpol ist bis zum Kern unserer Organisation vorgedrungen. Die Kommunikation ist weitgehend lahm gelegt. Ich vermute, dass auch Sie …«
    Er nickte. »Darum habe ich also seit Tagen nichts mehr gehört?«
    »Vermutlich. Man war gezwungen, die üblichen Kommunikationskanäle zu schließen. Im Moment ist es äußerst riskant, Telefon oder Fax zu benutzen. Auch von codierten Briefen wird abgeraten. Bis ein neues Kommunikationsnetz aufgebaut ist, wird empfohlen, ausschließlich persönliche Gespräche zu führen. Das gilt für ganz Europa. Unsere Handlungsfähigkeit ist also stark eingeschränkt. Wir haben unsere Spuren verwischt und sämtliches Material ausgelagert.
    Es wird von Fernlastern durch ganz Europa transportiert, bis sich alles wieder beruhigt hat. Eigentlich ist die Situation nicht schlimmer als ’87. So etwas geht in Wellen. In ein paar Jahren haben wir uns wieder erholt.«
    »Was wird von mir erwartet? Es ist schwierig, etwas zu unternehmen, wenn man vollkommen isoliert ist.«
    »Dazu komme ich noch. Sie sind nicht der Einzige, zu dem die Verbindung abgebrochen war. Aber ich habe nicht mehr viel Zeit.«
    466

    Er warf einen vielsagenden Blick aus dem Fenster. »Jetzt will ich hören, was Sie zu sagen haben. Der Olymp verlangt einen ausführlichen Bericht über die Ursachen, die zu dem Zusammenbruch in Schweden geführt haben. Offenbar handelt es sich um einen Einzelfall. Vor allem will er wissen, wie es passieren konnte, dass Fermi in Mjölby hinter Gittern sitzt und Enqvist in Stockholm festgenommen wurde.«
    Er rutschte nervös hin und her und spürte wieder den schmerzhaften Druck im Kopf. Nach Tagen der Isolation empfand er dieses Gespräch als enorm anstrengend.
    »Ja, wie soll ich … Ich fürchte, dass ich keine vollständige Erklärung liefern kann … zumindest nicht für die Vorfälle in Stockholm. Natürlich habe ich gewisse Vermutungen. Was Enqvist gemacht hat, weiß ich nicht. Offenbar war er so unvorsichtig, ein Telefon zu benutzen, das abgehört wurde. Da ich seit zwei Tagen mit niemandem sprechen konnte, weiß ich auch nicht mehr als das, was Sie mir am Freitag berichtet haben.
    Und was kann ich schon über Fermi sagen? Dass er mich vor der Leitung diskreditieren wollte, ist doch offensichtlich.
    Außerdem ist er heimlich seinen eigenen Geschäften nachgegangen. Fermi konnte den Hals wohl nicht voll genug bekommen, das ist ihm zum Verhängnis geworden.«
    Er bemerkte den kalten Glanz in den Augen des Fremden. »Ich hatte mir mehr von Ihnen erwartet als vage Vermutungen. Also noch mal von Anfang an. Die ganze betrübliche Entwicklung begann damit, dass die Leiche in Ihrer Jauchegrube gefunden wurde. Waren Sie da nicht ein bisschen leichtsinnig?«
    »Das mag von außen betrachtet so aussehen, aber die Umstände zwangen mich zu einer
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