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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht
Autoren: Helena Brink
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am Geländer festhalten. Das war das Ende. Er hätte ihnen allenfalls zuvorkommen können, doch so viel Mut brachte er nicht auf.
    Überraschenderweise kamen sie in einem roten Honda mit schwedischem Kennzeichen, doch wie erwartet, waren sie zu viert.
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    Ihre Gesichter konnte er nicht erkennen. Aus irgendeinem Grund fuhren sie nicht bis zum Haus, sondern blieben auf der anderen Seite der Kiesfläche, ungefähr dreißig Meter von ihm entfernt, stehen. Er wagte nicht zu spekulieren, was das für eine Bedeutung haben könnte. Seine Hand wanderte automatisch zur hinteren Hosentasche, während er zu Cäsar hinüberschaute, der in seinem Zwinger ein wildes Spektakel aufführte. Seine Vorderpfoten hatten sich in das Stahldrahtgeflecht verkrallt, das unter seinem Gewicht bedenklich schwankte.
    Nach einer unerträglich langen Wartezeit stieg ein Mann aus der hinteren Tür des Wagens. Die drei anderen machten keine Anstalten, ihm zu folgen. Cäsars Bellen ging in schrilles, ohrenbetäubendes Jaulen über. Er riss und zerrte am Drahtzaun, als wolle er seinem Herrn unter allen Umständen zur Hilfe kommen. Es war ein älterer, schmalgliedriger, weißhaariger Herr, der ihm entgegenging. Keine Erscheinung, die er mit einem Killer in Verbindung gebracht hätte, schon eher mit … ja, womit eigentlich? Ungewöhnlich waren nur die extrem dunklen Gläser seiner Sonnenbrille. In gemächlichem Tempo, mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen, als sei er ein harmloser Vertreter, der dem Hofbesitzer seine Waren anbieten wolle, näherte er sich der Treppe. Als sie nur noch wenige Meter voneinander entfernt waren, machte er eine vielsagende Geste zum Hundezwinger und rief: »Kann man den Hund irgendwie zur Ruhe bringen?«
    Offenbar ein Schwede. Das hatte er nicht erwartet. Er zögerte einen Moment, dann drehte er sich um und gab dem Hund ein schneidendes Kommando. Cäsar ließ sofort vom Zaun ab, gab noch ein leises Bellen von sich und setzte sich hin. Die plötzlich Stille gellte ihm in den Ohren, das Gefühl der vermeintlichen Übermacht war dahin.
    Der Unbekannte nahm die Sonnenbrille ab und schaute ihn mit graugrünen, wachen Augen an.
    »Bengt Nygren, vermute ich.«
    463

    Er nickte. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
    »Mein Name tut hier nichts zur Sache, aber Sie sollten mir genau zuhören«, entgegnete er trocken.
    War er ein Polizist? Sein Maßanzug sprach dagegen. Die Situation war so ungewöhnlich, dass seine Angst ein wenig gelindert und durch Neugier ersetzt wurde. Er ließ die Hand aus der Tasche gleiten. Eine vage Hoffnung hatte von ihm Besitz ergriffen. Würden sie ihm doch die Möglichkeit zu einer Erklärung geben?
    Der Fremde machte eine seitliche Kopfbewegung in Richtung Haus.
    »Können wir hineingehen?«
    Das Misstrauen kehrte zurück.
    »Was ist gegen frische Luft einzuwenden?«
    »Nichts, aber wir sollten trotzdem hineingehen. Außerdem will ich nicht, dass meine Kollegen uns zuhören.«
    Er hob die Brauen und warf einen erstaunten Blick auf den Wagen. Handelte es sich doch um Polizisten? Nein, schwedische Ordnungshüter konnten niemals dem Drang widerstehen, sich vorzustellen.
    »Ihre … Kollegen?«
    »Genau. Kommen Sie.«
    Mit gemischten Gefühlen trat er beiseite, um den geheimnisvollen Fremden ins Haus zu lassen, der zweifellos ein bestimmtes Anliegen hatte. War es seine Liquidierung oder etwas Vorteilhafteres?
    Er führte seinen Gast in den Raum, der am wenigsten verwüstet war und zum Vorplatz hinausging, was ihm Gelegenheit gab, das Auto im Auge zu behalten. Der Fremde nahm in demselben Sessel Platz, in dem gestern seine Nachbarin gesessen hatte. Er setzte sich auf das Sofa.
    Der andere kam sofort zur Sache und sagte in sachlichem Ton: 464

    »Der Olymp hat mich gestern beauftragt, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen. Ich nehme an, dass es meine Anonymität ist, die mich für diese Kuriertätigkeit geeignet erscheinen lässt. Meine Position beim Reichspolizeiamt sowie meine spezielle Funktion innerhalb des Kreises haben, wie Sie wissen, stets die größte Diskretion erfordert. Ich bin es, der Sie mit Berichten über die Interna unserer Behörde versorgt hat. Es dürfte Ihnen klar sein, dass ich unter normalen Umständen niemals das Risiko eingegangen wäre, Sie persönlich aufzusuchen. Und über die gegenwärtigen Zustände ließe sich einiges sagen, aber normal sind sie nicht. Unser gemeinsamer Auftraggeber hat mich also gebeten, Sie über die Lage zu informieren und Ihren vollständigen Bericht
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