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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht
Autoren: Helena Brink
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sind …«, flüsterte Astrid, die nicht völlig außerhalb stehen wollte.
    Inga leitete ihre Frage weiter: »Ist es eine Freunde zu Bengt Nygren?«
    Der Fremde warf seinem Begleiter an der Tür einen kurzen Blick zu, ehe er mit verbindlichem Lächeln antwortete: »Ja, Bengt ist ein alter Bekannter von uns. Wir haben gemeinsam an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim studiert und wollen ihn mit unserem Besuch überraschen.«
    Inga ließ sich nicht anmerken, dass dieser Redeschwall sie überforderte, und als die wohlerzogenen Fremden zwei Tafeln Schokolade mit einem Hundertkronenschein bezahlten, das ihnen zustehende Wechselgeld jedoch dankend ablehnten, rief sie ihnen zum Abschied ein couragiertes »Auf Wiedersehen!«
    nach.
    »Ich wusste gar nicht, dass du so gut Deutsch sprichst«, sagte Astrid, die ihre Bewunderung nicht verhehlen konnte.
    »Ach, das meiste habe ich sicher vergessen«, entgegnete Inga mit gespielter Bescheidenheit. »Erik und ich haben vor über dreißig Jahren mal einen Deutschkurs gemacht. Die Bänder haben wir noch.«
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    »Was hat er zum Schluss gesagt, als du ihn gefragt hast, ob sie mit Nygren befreundet sind?«
    Inga schaute an die Decke. »Er hat gesagt, dass sie alte Schulfreunde sind und in derselben Stadt gewohnt haben.«
    »Wie merkwürdig, dabei ist er doch Schwede. Hat er früher also in Deutschland gewohnt …«
    »Ja, warum denn nicht?«
    »Glaubst du, das waren alles alte Schulfreunde, ich meine, alle vier?«
    »Das glaube ich kaum. Der an der Tür sah doch viel jünger aus, und die im Auto habe ich nicht genau gesehen.«
    Astrid sagte nachdenklich: »Wie merkwürdig sie gekleidet waren.«
    Inga nickte.
    »Also bei dieser Wärme Handschuhe zu tragen … Vielleicht hatte er ein Ekzem an der Hand, das er nicht zeigen wollte.«
    »Der an der Tür hatte auch Handschuhe an. Meinst du, die haben beide ein Ekzem?«
    »Bei diesen Ausländern kann man nie wissen. Jedenfalls stelle ich es mir nicht sehr bequem vor, in solchen Kleidern zu reisen, aber Deutsche sind vielleicht so … falls es denn Deutsche waren.«
    Astrid seufzte leise. »Der an der Tür sah ziemlich finster aus, aber der, mit dem du gesprochen hast, machte doch einen freundlichen Eindruck. Meinst du, dass Nygren sich freuen wird, so überraschenden Besuch zu bekommen? Das kann einem doch sehr unangenehm sein, wenn man nicht aufgeräumt hat oder nichts zu essen im Haus hat. Also, ich schätze es gar nicht, wenn jemand einfach so reinschneit, ohne vorher Bescheid zu sagen.«
    »Ach, bei Männern ist das anders«, sagte Inga leichthin. »Die kümmern sich nicht um Aufräumen oder so was.«
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    »Nein, da hast du wohl Recht«, sagte Astrid. »Ich hoffe jedenfalls, dass er sich freuen wird. Er hat doch so eine schwere Zeit hinter sich. Aber ich frage mich, ob sie den Hof auch finden. Ich hatte den Eindruck, du hast ihnen nicht ganz die richtige Stelle gezeigt.«
    »Ich habe doch auf die Straße nach Christiansholm gedeutet.«
    »Also ich glaube, du hast auf die Straße nach Vestringe gedeutet.«
    Inge wurde unsicher.
    »Hab ich das wirklich? Na ja, sie werden es schon finden.«
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    Etwas später (zwischen 12 und 13 Uhr) Zum Umfallen erschöpft, sperrte er den Hundezwinger ab. Es war ihm immerhin geglückt, den Hund einzusperren und ihm noch mal Futter zu geben. Zu mehr war er nicht in der Lage gewesen. Als der sentimentale Idiot, der er war, hatte er Cäsars Kopf gestreichelt, während er mit der anderen Hand nach der Pistole gefingert hatte, die in seiner Hosentasche steckte. Es wäre eine Frage von Sekunden gewesen, hätte er mehr innere Stärke besessen.
    Er nahm den Kies unter seinen Schuhsolen und die Wärme der Sonne wahr. Sein Gefühl für das, was um ihn herum geschah, kehrte zurück. Er blieb stehen und lauschte der friedvollen Stille. Wurde plötzlich von dem verzweifelten Wunsch gepackt, weiterleben zu wollen, selbst unter bedeutend schlechteren Umständen. Er sog tief die milde, klare Luft ein und warf einen Blick über das Tal, bevor er mit gebeugtem Kopf auf das Haus zueilte. Doch noch ehe er die Eingangstreppe erreichte, traf ihn das scharfe Bellen des Hundes wie ein Schlag in den Rücken.
    Mit klopfendem Herzen spähte er die Allee hinunter. Durch das dichte Laub hindurch sah er ein Auto, das soeben auf die breite, von Linden gesäumte Zufahrt eingeschwenkt war. Der Anblick nahm ihm die letzte Energie. Was konnte er jetzt noch tun? Oder sollte er gleich aufgeben? Er wankte und musste sich
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