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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht
Autoren: Helena Brink
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Schweizer einen kühlen Kopf bewahrt und ihm vertraut, hätten sie die heikle Situation meistern können, aber Fermi war mit seiner Position nie zufrieden gewesen. Als der schmierige kleine Streber, der er war, hatte er schnell nach oben kommen wollen. Jetzt spürte er am eigenen Leib, was passiert, wenn man keine Geduld hat.
    Dieses Wissen bereitete ihm zumindest einen kleinen Trost.
    Doch in den letzten Stunden hatten sich neue Gedanken seiner bemächtigt. Bedrückende Gedanken, die, kaum hatte er sie beiseite geschoben, erneut auf ihn einstürmten. Das Wort Vergeltung ließ ihn nicht mehr los. Sie wandelte auf den unwahrscheinlichsten Wegen … ein feindliches Schicksal, das ihn zu zerschmettern drohte. So, wie es bereits Fermi zerschmettert hatte. Das Schicksal in Gestalt eines jämmerlichen Handlangers, der sich immer nur am äußersten Rand des Kreises aufgehalten hat. Er hatte nicht mal von der Existenz dieses kleinen Unterhändlers gewusst, ehe dieser mit der Kasse durchgebrannt war. Diese miese Ratte, die merkwürdigerweise mit heiler Haut davongekommen war, hatte in ihrem verzweifelten Überlebenskampf dem Kreis einen Schlag versetzt, der ihn zum Wanken brachte. Wie dies überhaupt möglich gewesen war, begriff er immer noch nicht. Doch es war eine Tatsache, dass mehrere verdienstvolle Mitglieder des Kreises der Polizei in die Falle gegangen waren und die Handlungsfähigkeit der Organisation zurzeit stark eingeschränkt war. Er selbst lief kaum Gefahr, das Interesse der Polizei zu wecken. Dazu war seine Position allzu gut geschützt. Doch schien es ihm immer wahrscheinlicher, dass er, als Hauptverantwortlicher für den schwedischen Bereich, als Sündenbock herhalten musste. Es würde ihm kaum Zeit bleiben, sich zu rechtfertigen. Das hatte er Fermi zu verdanken.
    Der furchtbare Druck in seinem Kopf verstärkte sich wieder.
    Wie in Trance ging er zur Spüle und schluckte noch ein paar Tabletten. Er zählte sie nicht mehr.
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    Packen, er musste packen! Es war Wahnsinn, noch mehr Zeit zu vergeuden. Er konnte ohnehin nichts mehr ändern. Worauf stützten sich seine Hoffnungen? Dass sie ihm doch Gelegenheit geben würden, sich zu erklären? Vielleicht hatte er eine Chance, wenn sie ihm jemanden vorbeischickten, der mit sich reden ließ.
    Er wusste genau, was diejenigen taten, die nicht redeten. Sie konnten jederzeit auftauchen. Er hätte die Botschaft gleich verstehen sollen. Seit er die Order erhalten hatte, sich ruhig zu verhalten und abzuwarten, war das Handy still geblieben. Er konnte nicht länger an der Tatsache vorbeisehen, dass sie ihn kaltgestellt hatten. Vermutlich waren sie schon auf dem Weg. Er durfte nicht länger warten …
    Das verzweifelte Kratzen des Hundes an der Schlafzimmertür brachte ihm dessen Existenz in Erinnerung. Auch Cäsar war ein Problem, doch zuerst musste er packen. Er quetschte sich durch den Türspalt, um das ruhelose Tier nicht herauszulassen. Der Anblick des Schlafzimmers ließ ihn unwillkürlich zurückschrecken und erinnerte ihn daran, dass er vorhin schon sämtliche Kleider aus dem Schrank gefegt hatte. Der frustrierte Hund war auf den Haufen losgegangen und hatte einiges in Stücke gerissen. Jetzt stürzte er kläffend auf ihn zu, überglücklich und dankbar, dass seine Isolationshaft vorbei war.
    Doch er schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, war nur mehr von einer panischen Hast getrieben. Was sollte er mitnehmen?
    Wohin sollte er überhaupt fahren? Sicherheitshalber sollte er alles einpacken. Auch die Bettwäsche konnte ihm noch von Nutzen sein. Wahllos warf er zerrissene Hemden, angekaute Bücher, Anzüge und Kissen auf die Bettdecke und schlug diese über dem ganze Wust zusammen, um alles auf einmal zum Auto tragen zu können. Dann fiel ihm ein, dass er das Handy in der Küche vergessen hatte. Er ließ das Bündel auf den Boden fallen und rannte fluchend in die Küche, den Hund dicht auf den Fersen. Während er das Handy wie einen Talisman gegen die Brust presste, nahm er seinen unterbrochenen Gedankengang 452

    wieder auf: Was brauchte er alles? Kleider, Geld, Pass. An Pässen mangelte es ihm nicht, um Bargeld war es schlechter bestellt. Wäre er ein bisschen vorausschauender gewesen, hätte er eine große Summe loseisen können. Jetzt musste er mit dem vorlieb nehmen, was sich im Haus befand. Es war nicht genug für einen bequemen Rückzug, doch war es nicht das erste Mal, dass er überstürzt ein Land verlassen musste. Er würde wieder auf die Beine kommen, wenn ihm
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