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Der leiseste Verdacht

Der leiseste Verdacht

Titel: Der leiseste Verdacht
Autoren: Helena Brink
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wusste sie ein paar brandheiße Beispiele zu erzählen, die genug Stoff zu eingehenden Erörterungen boten. Doch das Thema war unerschöpflich, und so leitete Astrid in routinierter Beiläufigkeit zu Nisses Arbeitgeber über, dem vom Pech verfolgten Bengt Nygren, der wahrhaft zu bedauern sei.
    Inga, die nie das Vergnügen hatte, besagtem Herrn Nygren zu begegnen, zeigte sich gegenüber dessen Sorgen ziemlich gleichgültig und fand das Thema längst ausgereizt. Dafür konnte sie Astrid darüber aufklären, dass dieser Maler, der ganz in der Nähe von Knigarp wohne, irgendwie in die schrecklichen Vorkommnisse verstrickt sei. Sie wolle zwar nicht direkt behaupten, dass er des Mordes verdächtigt werde, aber irgendwas sei da im Busch. Sie habe gehört, dass sich die 456

    Polizei genauestens nach seinem Lebenswandel erkundigt habe.
    Astrid machte große Augen, war jedoch skeptisch.
    »Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte sie entrüstet. »Das ist doch so ein netter Mann.«
    »Also davon habe ich nie was bemerkt«, entgegnete Inga säuerlich. »Ich finde, er macht einen ziemlich ungehobelten Eindruck. Und man hat doch schließlich gehört, was das für einer war, bevor er geheiratet hat. Nachher soll’s ja auch nicht viel besser geworden sein. Und die Leute in der Gegend wissen doch alle, was die da in ihrem Haus für wilde Feste feiern mit Unmengen von Alkohol und ich weiß nicht was. Erik kannte noch seinen Vater. Der war auch kein Kind von Traurigkeit, das kann ich dir sagen. Na ja, jetzt ist er ja tot. Für seine Frau ist das bestimmt kein Zuckerschlecken.«
    »Warum?«
    »Der liegt doch den halben Tag im Bett rum, während sie arbeitet. Ich glaube, sie hält ihn aus.«
    »Aber das kann man doch nicht vergleichen«, widersprach Astrid. »Er ist eben ein Künstler, und sicher verkauft er viele Bilder.«
    Inga schnaubte verächtlich und wollte gerade neue Behauptungen vom Stapel lassen, als sie und Astrid plötzlich vom ungewöhnlichen Anblick eines silbergrauen Mercedes aus ihren Gedanken gerissen wurden, der auf der Kiesfläche vor Astrids Schaufenster fast lautlos zum Stehen kam. Auf den zweiten Blick sahen sie, dass es sich um ein ausländisches Fahrzeug handelte, in dem vier Männer saßen. Verblüfft nahmen sie zur Kenntnis, dass zwei von ihnen ausstiegen und Astrids Geschäft betraten.
    »Wieder mal Touristen«, flüsterte Inga, als die Türglocke bimmelte.
    457

    Astrid hoffte auf ein gutes Geschäft und bemühte ihre herzlichste Miene, die ausschließlich für Touristen reserviert war.
    Ein wenig unsicher wurde sie doch, als sie die tadellos gekleideten Herren erblickte, deren förmliches Auftreten auf Geschäftsleute schließen ließ. Während der eine an der Tür stehen blieb, ging der andere zielstrebig zur Ladentheke und entblößte verbindlich lächelnd ein perfektes Gebiss.
    »Sprechen Sie Deutsch?«
    »Er fragt dich, ob du Deutsch sprichst«, flüsterte Inga.
    »Das habe ich doch verstanden«, entgegnete Astrid spitz.
    Dennoch sah sie sich gezwungen, langsam und unmissverständlich den Kopf zu schütteln.
    »English?«, versuchte es der vermeintliche Tourist.
    Astrid durchforstete in aller Eile ihren englischen Grundwortschatz, was im Nu erledigt war.
    Inga kam ihr zur Hilfe. »Ich sprechen kleine Deutsch«, sagte sie triumphierend.
    Ihre Initiative wurde mit einem noch breiteren Lächeln vergolten. »Sehr gut.«
    Ein zusammengerollter Straßenatlas landete auf der Theke.
    »Können Sie mir einen Ort auf dieser Karte zeigen?«
    Inga nickte bereitwillig und schlug die Seite auf, die Christiansholm mit Umgebung zeigte.
    »Wissen Sie, wo sich der Hof Knigarp befindet?«
    »Knigarp?«, riefen Astrid und Inga wie aus einem Mund.
    »Ja. Können Sie mir die Stelle auf der Karte zeigen?«
    Inga schaute aus dem Fenster, während ihre Lippen stumm darum kämpften, die deutschen Wörter zu formen.
    »Es ist nicht so lange.« Sie streckte vage ihren Arm aus. »Es ist rechts, vier Kilometer.« Dann fuhr sie mit ihrem Zeigefinger 458

    über die Karte bis zu dem Punkt, an dem Knigarp liegen musste.
    Der Fremde nickte zufrieden. »Wie kann man das Haus erkennen?«
    »Hm, ich weiß nicht …« Sie wandte sich an Astrid. »Wie sieht das Wohngebäude eigentlich aus?«
    »Ein rotes Backsteinhaus, das weißt du doch.«
    »Es ist eine große, rote Haus«, sagte Inga.
    »Kann man das Haus vom Weg aus sehen?«
    Inga begann zu schwitzen, nickte beflissen und fügte ein
    »Jawohl!« hinzu.
    »Ob sie mit Nygren befreundet
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