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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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um zu Marja zu gelangen. Die Spione des Fürsten Schemski waren ratlos und konnten nur melden: »Die Zarin bleibt allein. Es scheint, als sei der deutsche Arzt in Ungnade gefallen.«
    »Ihr seid blind geworden!« schrie Schemski. Angst würgte ihn. Der Kurier mußte den Zaren längst erreicht haben. Kam Iwan zurück, wollte er Beweise. Aber die einzigen, die etwas gesehen hatten, waren geblendet und stumm gemacht worden. Und die neuen Späher hatten nichts gesehen.
    Jurij Alexandrowitsch Schemski ahnte, daß die Rückkehr des Zaren schrecklich für ihn sein würde. Da half auch keine Flucht mehr. Rußland war die Hand des Zaren. Und er sah alles, was in seiner Hand geschah …
    In der neunten Nacht vergaß Trottau die Gänge zu zählen. Er war zu sicher geworden, lief und lief und stand plötzlich vor Kammern, die er noch nie gesehen hatte. Da erst merkte er, daß er irgendwo falsch abgebogen war und sich in einem unbekannten Teil der unterirdischen Stadt befand.
    Trottau biß die Zähne zusammen und ging weiter. Immer geradeaus, sagte er sich. Irgendwo wird man ankommen, jedes Labyrinth hat ein Ende. Unendlichkeit gibt es nur hinter den Sternen …
    Er tappte weiter, sah plötzlich Eisenringe in den Wänden, diese Ringe, in die man Fackeln steckt. Das bewies, daß dieser Teil einmal bewohnt gewesen sein mußte. Trottau leuchtete die Wände ab und blickte in Zimmer, die einen Steinboden hatten und keine festgestampfte Erde.
    Und dann traf es ihn wie ein Schlag, als hinter ihm eine dumpfe Stimme ertönte: »Bleib stehen, Brüderchen. Rühr dich nicht!«
    Ein Mensch! Ein Mensch unter der Erde. Langsam drehte sich Trottau um.
    Es hatte bisher in Andreas von Trottaus Dasein zwei Situationen gegeben, in denen ihm das Herz schneller schlug und wo er glaubte, an einer Wegkreuzung seines Lebens zu stehen. Das erstemal war es gewesen, als er sich im Palast des Fürsten Kurbski vor Zar Iwan verbeugte – nicht zu tief, denn er war ein freier Mann – und Iwan IV. sagte: »Das muß ein kranker Mensch sein, Kurbski, denn er kann den Kopf nicht neigen.« Und Kurbski hatte geantwortet: »Großer Zar, er ist ein deutscher Arzt.«
    Einen Augenblick hatte Iwan mit seinen Raubvogelaugen den großen schlanken Mann vor sich betrachtet und dann gelacht. »Wenn die Krankheiten soviel Angst vor ihm haben, wie er keine Angst vor dem Zaren, nehme ich ihn mit nach Moskau.«
    Das zweitemal hatte Trottau der Atem gestockt, als er Marja gegenübertrat – der schönsten Frau, die er bisher gesehen hatte. Und als er sie hatte berühren dürfen, hatte er wieder diesen Druck auf dem Herzen gespürt, der erst gewichen war, als er am nächsten Morgen das Schlafzimmer der Zarin verlassen hatte.
    Jetzt aber, tief unter dem Kreml, in diesem Labyrinth aus modrigen Gängen, ergriff ihn die größte Erschütterung, die er bisher erlebt hatte.
    Eine Frau stand ihm gegenüber. Eisgraues Haar, ein flächiges, ebenso graues Gesicht, in dem zwei tiefliegende Augen brannten, ein Mund mit grauen Lippen und ein bis auf den glitschigen Steinboden reichendes, sackähnliches Gewand. Ein Mensch ohne Schimmer Farbe, ein aufrecht gehender, sprechender, sehender, atmender, denkender Leichnam.
    Die Frau starrte Trottau an, und als sein Blick an ihrer Gestalt hinabglitt, sah er, daß sie mit der rechten Hand ein krummes Messer umklammert hielt.
    »Wie kommt Ihr hierher, Mütterchen?« fragte Trottau. Seine Stimme klang dumpf in diesem steinernen Grab.
    »Das frage ich dich.« Die Frau versperrte ihm den Weg. Ihr Gesicht zeigte keine Regung. Es war ein grauer Fleck, in dem sich die Lippen bewegten. »Du kommst aus dem Nichts und verschwindest im Nichts. Ich habe dich hier schon viermal gesehen. Was willst du?«
    »Wieder hinaus in den Garten oder zu einer Treppe, die zum Zimmer des Zaren führt.«
    »Es gibt keine Treppe in das Zimmer des Herrschers!« Die Frau hob das Messer. »Du lügst! Wen suchst du hier?«
    »Niemanden, Mütterchen, glaub es mir.« Trottau steckte seine Fackel in einen der Eisenringe an der Wand. »Ich wußte bis zur Stunde nicht, daß ich hier in der Unterwelt nicht allein bin. Wenn du mich beobachtet hast, wirst du gesehen haben, wohin ich gegangen bin.«
    »Ich habe dich nur verfolgt, bis du außerhalb unserer Räume warst.«
    Räume! Sie nannte diese Grabkammern Räume! Mein Gott, es war doch nicht möglich, daß hier ein Mensch wohnen konnte! Trottau wischte sich über die Stirn. »Wo bin ich hier, Mütterchen?« fragte er stockend.
    »Im Hause
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