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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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darauf wartete, dass ich die Wohnung mit ihrer Anzeige vergleichen und letztere für verdächtig knapp halten würde:
    Zimmer in zentral gelegener heller Dreizimmerwohnung zu vermieten, zu teilen mit junger berufstätiger Frau, sofort beziehbar.
    Jetzt also frühstücken wir zusammen. Ihre Pyjamahose beißt sich mit meiner untadeligen Bluse. Das Absurde daran ist, dass ich es bin, die sich unbehaglich fühlt.
    »Bist du nervös?«
    »Nein.«
    Ich konzentriere mich darauf, die perfekte Mischung aus Milch und Kaffee hinzukriegen, dann verderbe ich alles, weil ich es mit dem Zucker übertreibe. Sie schüttet die genau richtige Menge Müsli in ihre Schüssel, schnappt sich eine auf dem Tisch liegende Zeitschrift und beginnt,darin zu blättern. Ich trinke das hyperglykämische Gebräu und sehe mich um. Meine Küche. Meine Wohnung.
    Im Geiste berichtige ich.
    In einem herrschaftlichen, zentral gelegenen Wohnhaus zu vermieten: kleines Einzelzimmer, nicht sehr hell, aber mit einer roten Ikea-Gardine ausgestattet, die ihm eine gewisse Note verleiht. Das Mobiliar wird komplettiert durch ein Bett und einen Schrank mit durchgebrochenem Boden. Außerdem ein Bad mit Fliesen von zweifelhaftem Geschmack und funktionierender Wanne und Waschbecken sowie eine Wohnküche mit knallgelben Stühlen, einem kürzlich ausgetauschten Kühlschrank, einem Pseudo-Thermometer in Form eines Gecko, das immer die gleiche Temperatur anzeigt (20 Grad). In der Miete eingeschlossen: gleichaltrige (»Achtundzwanzig. Und du?«), gutaussehende Mitbewohnerin, von Beruf Erzieherin (»In einem Familienhaus, einer Art Gemeinschaft mit Leuten, die nicht ganz richtig im Kopf sind.«), unfähig, Kaffee zu kochen (»Er schmeckt dir nicht? Die Maschine steht dort oben.«)
    »Er schlägt auf die Lehrerinnen ein.«
    Margherita blickt nicht von der Anzeige hoch, die sie gerade studiert.
    »Er ist ein sehr sonderbarer Junge«, höre ich mich sagen.
    Sie konzentriert sich einen Moment lang auf die unnatürliche Pose eines Models, klappt dann die Zeitschrift zu, schiebt sie beiseite.
    »Ich gehe heute mit Vito zum Psychiater.«
    Ich antworte nicht darauf, weil ich einen großen Schluck misslungenen Milchkaffee hinunterwürgen muss.
    »Er hasst ihn«, fährt sie fort und lächelt.
    »Vito?«
    Vito, genannt der Knochenbrecher , ist das schwarze Monster der Villa dei Pini, der therapeutischen Wohngemeinschaft, in der Margherita seit drei Monaten arbeitet. Nach einer Woche im Koma ist er aufgewacht mit einer Flut psychischer Probleme und dem unbändigen Bedürfnis, anderen Leuten die Arme zu brechen, um möglichst viele das bei seinem Unfall erlittene Trauma nacherleben zu lassen.
    »Am ersten Tag dachten alle Kollegen, er hätte mich aufgefressen oder so was.«
    »Und stattdessen?«
    »Stattdessen gar nichts.«
    Sie fährt sich mit der Hand durch die Haare.
    »Gestern hat er zu mir gesagt, wenn ihn der Doktor wieder wütend macht, bringt er ihn um und sich auch.«
    »Scheint mir angemessen.«
    »Und wen trifft also das Los, dieses Nervenbündel von eins achtzig bei dem Arztbesuch zu begleiten?«
    »Glückwunsch.«
    Ich biete an, schnell die Tassen zu spülen, dann verschwinde ich im Badezimmer. Zehn Minuten später stehe ich vor meiner Tasche für die Schule.
    Sie ist leer.
    Vor zwanzig Jahren kniete mein Vater neben mir vor der offenen Schultasche.
    Hast du den Radiergummi?
    Ja.
    Und wo? Zeig ihn mir.
    Es ist der Tag vor dem Schulanfang. Das verhasste Ritualdes Schulranzenpackens vollzieht sich seit der ersten Klasse und wird bis zur fünften weitergehen. Der Radiergummi ist natürlich nie dort, wo er sein soll. Oder es ist der Bleistiftspitzer, der unauffindbar bleibt. Irgendetwas fehlt immer, sodass meine Schultasche nie komplett ist.
    Es ist doch bloß ein Radiergummi.
    Es ist nicht bloß ein Radiergummi.
    Ich öffne die Tasche und stecke weiße Blätter hinein, ein Ringbuch, Füllfederhalter und Farbstifte. Ob der Füllfederhalter schreibt, ob der Bleistift eine Spitze hat, überprüfe ich nicht. Gewiss, wenn es darauf ankommt, bin ich vielleicht nicht vorbereitet. Doch das ist eben der Preis, den ich zahle, um zu beweisen, dass man auch mit Fehlern leben kann.
    Wie auf jedem anderen Schulhof des Planeten stehen die Schüler des Gymnasiums in Grüppchen zusammen, bummeln verschlafen auf den Wegen des Spielplatzes herum, lachen aus nichtigem Anlass. Abgesehen von einigen Emos oder ein paar gepiercten Metalfreaks kann ich sie schwer unterscheiden. Es ist seltsam, denn in
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