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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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Kruste. In der Mittel des Deckels zeigt sich, geschützt von denStacheln, der Kopf eines Teufels. Aufgrund der Form der Hörner, die mir irgendwie bekannt vorkommt, vergleiche ich ihn mit dem, der mich von der Wand her fixiert, und stelle eine enge Verwandtschaft fest. Der schwarze Spitzbart und die langen Koteletten bilden eine Einheit mit den Augenbrauen, umrahmen sein Gesicht; die Augen verdreht er vor Wut über irgendetwas oder irgendjemanden nach oben.
    »Entschuldige«, sagt die Belcari und schließt sofort die Tür hinter sich.
    »Hast du den Streit geschlichtet?«
    Sie lächelt mir zu.
    »Warum setzen wir uns nicht?«
    Ich gehorche. Sie bleibt stehen.
    »Er ist kein typischer Autist«, sagt sie und reicht mir die Diagnose. »Und er ist nicht zweifelsfrei zurückgeblieben. Wir sind immer noch dabei, den Fall zu studieren, und leider kann ich dir nicht viel darüber erzählen.«
    Sie geht zu einem der Schränke und öffnet ihn.
    »Ich müsste etwas haben, das ich dir über Persönlichkeitsstörung und Autismus geben könnte.« Sie dreht sich zu mir um. »Du hast doch mit so etwas Erfahrung, oder?«
    Ich denke an Tommasos Rennereien auf dem Schulflur.
    »Während der Spezialisierung hat man mir einen Fall von Autismus zugeteilt«, erwidere ich.
    Weißt du, ich beobachte Tommaso und glaube, dass ich es nie schaffen würde. Ja, nun beenden wir das Referendariat, schreiben die Abschlussarbeit, machen das Examen, und ich denke nicht mehr daran. Aber wenn sie mich danach ausgerechnet auf Tommaso ansetzen? Was mache ich dann, sage ich nein? Sage ich, dass ich davor Angst habe?
    Ich will gerade weiterreden, doch sie kommt mir zuvor.
    »Sieh mal einer an! Ich hab es ihm bestimmt schon hundertmal gesagt, dass er ihn nicht dort unten reinstellen soll.«
    Die Belcari bückt sich, fördert ein Gewirr aus Draht zutage und legt es auf den Tisch.
    »Entschuldige. Ich bin sauer auf den Kollegen De Lucia. Er ist ein guter Lehrer, aber was für ein Sturkopf!«
    Ich gebe ihr die Diagnose zurück.
    »Schlägt er auf die Lehrerinnen ein?«
    Sie senkt den Blick auf das Aktenbündel, als stehe irgendwo da drinnen die Antwort geschrieben. Dann macht sie eine Handbewegung, um meine Gedanken zu verscheuchen.
    »Hör zu: Es sind noch keine drei Schulwochen vergangen. Wir wissen wenig über diesen Jungen. Wir müssen uns Zeit geben.«
    Noch etwas.
    Was denn?
    Sie haben doch das zweite Staatsexamen, nicht wahr?
    Ja, natürlich.
    Ausgezeichnet. Dann freuen wir uns auf Sie.
    Das Drahtgewirr nimmt den halben Tisch ein. Die Drähte wurden nicht planlos ineinander verschlungen, sie ergeben eine, wenn auch nur vage erkennbare Gestalt: das Skelett eines Tieres mit flachem Kopf und langem Schwanz. Ein Drache. Eine Eidechse.
    Die Belcari händigt mir den vorläufigen Stundenplan aus. Morgen ist mein erster Tag.
    »Du wirst im Sekretariat erwartet, um den Vertrag zu unterschreiben«, sagt sie und schaut dann auf ihre Uhr. »Vielmehr, man erwartet dich nicht: Geh am besten gleich hin.«
    Ich danke ihr und verabschiede mich. Bevor ich hinausgehe, bleibe ich vor dem Teufel stehen, um einen schwarzen Fleck auf seiner Schulter zu entziffern. Es ist ein A mit einem zittrigen Bein.
    »Andrea«, sagt die Belcari.
    Riccardi heißt also mit Vornamen Andrea.
 
    Alle Schulen sind irgendwie gleich, denke ich.
    Die Flure mit den aneinandergereihten Klassenzimmern, die Feuerleitern, die sich bis zu den oberen Fenstern hochwinden, die in die Wand eingelassenen Feuerlöscher. Ich sehe sie nicht zum ersten Mal.
    Die Bibliotheken mit den Computern, die Lehrerzimmer, die Labore mit den Druckern – überall sind sie gleich.
    Die Karteikästen, der Berechtigungsausweis zum Fotokopieren. Die glatten Wände, die genormten Türen. Die sauberen Fußböden.
    Es ist eine öffentliche Schule, sage ich mir, die sind überall gleich. Und sofort kommt mir Nicola in den Sinn, sein verdrossenes Gesicht beim Anblick des Lateinbuchs, sein nachsichtiges Lächeln, als er den Fotokopierer einschaltete: »Wir kopieren doppelseitig, Kopien sind teuer.«
 
    Das Sekretariat ist im ersten Stock, eingekeilt zwischen Lehrerzimmer und Direktorat.
    Hinter mir putzt die Frau von heute Morgen geradedie Fenster. Sie trägt eine vorne durchnässte blaue Schürze, streckt sich auf die Zehenspitzen und trocknet die Glasscheiben mit einem großen Tuch.
    »Es ist geschlossen«, sagt sie, ohne sich umzudrehen.
    Von Nicola weiß ich, dass in Schulen oft die Pedelle das Sagen haben. Sie kennen alle Leute
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