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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten
Autoren: Katherine Pancol
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Maman, was mache ich dann? Allein finde ich Papa doch nie wieder!« Joséphine hatte mit dem Gedanken gespielt, ihr mit »Papa« unterschriebene Postkarten zu schicken, doch es widerstrebte ihr, zur Betrügerin zu werden. Eines Tages würde sie ihr wohl oder übel die Wahrheit sagen müssen. Doch nie kam der passende Moment. Gab es überhaupt einen passenden Moment, um einem dreizehneinhalbjährigen Mädchen zu sagen, dass sein Vater von einem Krokodil gefressen worden war?
    Hortense wusste Bescheid. Sie hatte geweint, Joséphine beschimpft und anschließend verkündet, dass es so besser sei, da ihr Vater sein ewiges Scheitern ohnehin nicht mehr ertragen habe. Hortense hatte nichts übrig für Gefühle, in ihren Augen waren sie Zeitverschwendung, ein fragwürdiges Eingehen auf andere, das lediglich zu Mitleid führte. Sie kannte nur ein Ziel im Leben: Erfolg. Und nichts und niemand würde sie davon abhalten. Natürlich liebte sie ihren Vater, aber sie konnte ihm nicht helfen. Jeder war schließlich für sein Schicksal selbst verantwortlich, er war aus dem Tritt gekommen und hatte dafür bezahlt.
    Seinetwegen Ströme von Tränen zu vergießen, hätte ihn auch nicht wieder lebendig gemacht.
    Das war im vergangenen Juni gewesen.
    Joséphine schien es eine Ewigkeit her.
    Hortense hatte ihr Abitur mit »Sehr gut« bestanden und war nach London gezogen, um dort zu studieren. Manchmal besuchte sie Zoé bei Philippe und verbrachte den Samstag mit ihnen, aber meistens stürmte sie nur kurz herein, umarmte ihre kleine Schwester und verschwand gleich darauf wieder. Sie hatte sich am Saint Martins College eingeschrieben und arbeitete unermüdlich. »Das ist die beste Schule für Modedesign auf der ganzen Welt«, versicherte sie ihrer Mutter immer wieder. »Ich weiß, die Gebühren sind hoch, aber das können wir uns doch jetzt leisten, nicht wahr? Und du wirst deine Investition garantiert nicht bereuen. Ich werde eine weltberühmte Modedesignerin.« Daran hegte Hortense keinen Zweifel. Und Joséphine auch nicht. Sie traute ihrer Tochter alles zu.
    So viel ist in knapp einem Jahr geschehen! Mein Leben wurde völlig auf den Kopf gestellt. Mein Mann hatte mich verlassen, meine Mutter ließ kein gutes Haar an mir, die Schulden drohten mir über den Kopf zu wachsen, und ich hatte gerade die Arbeit an einem Roman beendet, den meine Schwester, meine geliebte Schwester Iris, unter ihrem Namen veröffentlichen wollte, um damit in der Gesellschaft zu glänzen.
    Und jetzt …
    Jetzt hat Scorsese die Filmrechte an meinem Roman gekauft, und Nicole Kidman ist für die Rolle meiner Heldin Florine im Gespräch. Das Buch wurde in unzählige Sprachen übersetzt, vor Kurzem hat man mir meinen ersten Vertrag auf Chinesisch vorgelegt.
    Jetzt lebt Philippe mit Alexandre in London. Und Iris dämmert in einer Klinik vor den Toren von Paris vor sich hin, wo sie wegen einer Depression behandelt wird.
    Jetzt bin ich auf der Suche nach einem Thema für meinen nächsten Roman, denn der Verleger hat mich überredet, ein zweites Buch zu schreiben. Ich grüble und grüble, aber mir fällt nichts ein.
    Jetzt bin ich Witwe. Antoines Tod wurde von der örtlichen Polizei festgestellt, der französischen Botschaft in Nairobi gemeldet und die Information an das Außenministerium in Frankreich weitergeleitet. Ich bin Joséphine Plissonnier, verwitwete Cortès. Ich kann an Antoine und seinen entsetzlichen Tod denken, ohne dass mir die Tränen kommen.
    Jetzt habe ich noch einmal ganz von vorn angefangen: Ich warte auf Luca, und wir werden ins Kino gehen. Luca wird das Pariscope mitbringen, und wir werden gemeinsam einen Film aussuchen. In Wahrheit war es immer Luca, der den Film auswählte, aber er tat so, als überließe er ihr die Entscheidung. Sie würde den Kopf an seine Schulter legen, eine Hand in seine Tasche schieben und sagen: »Suchen Sie aus.« Und er würde antworten: »Einverstanden, aber beschweren Sie sich nachher nicht!«
    Sie beschwerte sich nie. Sie wunderte sich immer noch darüber, dass er Gefallen daran fand, seine Zeit mit ihr zu verbringen. Wenn sie neben ihm lag, wenn sie seinen schlafenden Körper an ihrem spürte, betrachtete sie manchmal sein spartanisch eingerichtetes Zimmer, als hätte sie es nie zuvor gesehen. Das fahle Licht, das zwischen den Lamellen der Jalousie hereinsickerte, die Bücherstapel auf dem Boden, auf die eine nachlässige Hand einen Teller, ein Glas, einen Topfdeckel oder eine Zeitung abgelegt hatte, die jeden Moment
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