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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten
Autoren: Katherine Pancol
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Person in der Warteschlange und ignorierte demonstrativ Joséphine, die ihren Personalausweis einsteckte, den Platz am Schalter frei machte und das Postgebäude verließ.
    Joséphine Cortès war schüchtern, im Gegensatz zu ihrer Mutter oder ihrer Schwester, die die Menschen mit einem Blick, einem Lächeln dazu brachten, ihnen zu gehorchen oder sie zu mögen. Sie neigte dazu, sich zurückzunehmen und sich für ihre bloße Anwesenheit zu entschuldigen. Eine Weile hatte sie geglaubt, der Erfolg würde ihr dabei helfen, selbstsicherer zu werden. Ihr Roman Die demütige Königin stand auch ein Jahr nach seinem Erscheinen noch immer auf den Bestsellerlisten. Doch das Geld hatte ihr kein neues Selbstvertrauen geschenkt. Im Gegenteil, inzwischen hatte sie eine regelrechte Abneigung dagegen entwickelt. Es hatte ihr Leben verändert, ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Das Einzige, was es nicht verändert hat, ist mein Verhältnis zu mir selbst, seufzte sie, während sie sich nach einem Café umsah, wo sie sich hinsetzen und das geheimnisvolle Paket öffnen konnte.
    Es muss doch möglich sein, dieses Geld einfach zu ignorieren. Geld nimmt einem die Angst vor den Bedrohungen des nächsten Tages, aber sobald man es hat, bestürmen einen Fragen, unter denen man fast zusammenbricht. Wo soll man es anlegen? Zu welchem Zinssatz? Wer soll sich darum kümmern? Ich ganz bestimmt nicht, wehrte sich Joséphine im Geiste, während sie an einem Zebrastreifen die Straße überquerte und gerade noch rechtzeitig einem Motorrad auswich. Sie hatte ihren Bankberater, Monsieur Faugeron, gebeten, es auf einem separaten Konto zu lassen und ihr jeden Monat eine Summe zu überweisen, die für ihren Lebensunterhalt, die Steuern, ein neues Auto und Hortenses Schulgebühren und Lebenshaltungskosten in London ausreichte. Hortense wusste, wie man mit Geld umging. Ihr würde beim Anblick der Kontoauszüge bestimmt nicht schwindlig. Joséphine hatte sich damit abgefunden: Mit siebzehneinhalb Jahren kam ihre ältere Tochter im Leben besser zurecht als sie selbst mit dreiundvierzig.
    Es war Ende November, und die Dunkelheit senkte sich auf die Stadt herab. Ein heftiger Wind riss die letzten Blätter von den Bäumen und ließ sie in einem rotbraunen Walzer zu Boden taumeln. Aus Angst, von einer Windböe ins Gesicht getroffen zu werden, hielten die Passanten beim Gehen den Blick gesenkt. Joséphine schlug ihren Mantelkragen hoch und sah auf die Uhr. Um sieben war sie in der Brasserie Le Coq an der Place du Trocadéro mit Luca verabredet.
    Sie musterte das Paket. Es stand kein Absender darauf. Kam es von Mylène? Oder von Mister Wei?
    Sie ging die Avenue Poincaré hinauf bis zur Place du Trocadéro und betrat die Brasserie. Sie hatte noch eine gute Stunde, bevor Luca kommen würde. Seit sie umgezogen war, verabredeten sie sich immer in dieser Brasserie. Das war Joséphines Wunsch gewesen. Eine Möglichkeit, sich ihr neues Viertel vertraut zu machen. Sie liebte es, Gewohnheiten zu schaffen. »Für meinen Geschmack ist dieser Laden ja viel zu bürgerlich und von Touristen überlaufen«, hatte Luca mit matter Stimme gesagt, »aber wenn Ihnen so viel daran liegt …« Man erkennt immer an den Augen, ob ein Mensch glücklich oder traurig ist. Den Blick kann man nicht verstellen. Luca hatte traurige Augen. Selbst wenn er lächelte.
    Sie öffnete die Tür und sah sich nach einem freien Tisch um, entdeckte einen und setzte sich. Niemand beachtete sie, und sie war erleichtert. Vielleicht wurde aus ihr doch allmählich eine echte Pariserin? Mit einer Hand berührte sie den mandelgrünen Strickhut, den sie in der vergangenen Woche gekauft hatte, spielte mit dem Gedanken, ihn abzusetzen, und entschied sich dagegen. Wenn sie ihn abnähme, wäre ihr Haar zerzaust, und sie würde es nicht wagen, sich in aller Öffentlichkeit zu kämmen. So etwas gehörte sich nicht. Das war einer der Grundsätze ihrer Mutter. Sie lächelte. Zwar hatte sie den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen, doch deren Prinzipien hatten sich ihr unauslöschlich eingeprägt. Der mandelgrüne Strickhut bestand aus drei molligen Reifen mit einem flachen Cordsamt-Deckel, geziert von einem kleinen steifen Flanellstummel, wie sie auch klassische Bérets krönen. Sie hatte diesen Hut im Schaufenster eines Ladens in der Rue des Francs Bourgeois im Marais gesehen, war hineingegangen, hatte nach dem Preis gefragt und ihn anprobiert. Er verlieh ihr die verschmitzte Ausstrahlung einer unbekümmerten Frau mit
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