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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz
Autoren: Thommie Bayer
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Zimmer mit Balkon, aus denen eben eine Frau ausgezogen ist.
    »Was für eine Frau ?« fragt Martin, schon leicht betrunken.
    »Schlechte Frau«, grinst Rudi, »böse Frau. Hat einen meiner Kunden rumgekriegt.«
    Er will in der nächsten Woche nach Basel fahren, um den Fattori zurückzukaufen. Der Argentinier will ihn haben. Da sei nur noch eine Sache zu besprechen, sagt Rudi mit scheinheiligem Augenaufschlag. »Zehn Prozent ?«
    »Hälfte«, sagt Martin stoisch.
    »Dann zahlst du die Fahrkarte, das Hotel und einen Tagessatz von achtzig Mark.«
    »Mach ich«, sagt Martin. »Warst du mal Beamter oder so was ?«
    »Fast. Ich bin grad noch rechtzeitig abgesprungen.«
     
    *
     
    Fast jeden zweiten Tag braust Rudi jetzt heran und bringt die ländliche Ruhe mit Schecks und Geldbündeln durcheinander. Die Summen sind phantastisch. Mittlerweile kann Martin schon von der Rasanz des Wendemanövers auf die Höhe des Betrages schließen. Am Ende der Woche besitzt er über neunzigtausend Mark mehr, und ein Segantini, ein Burne-Jones und zwei Vallotons sind noch nicht verkauft. Es ist aufregend. Ach, Anne, denkt er manchmal, wenn du mich sehen könntest.
    Was immer zwischen Wirklichkeit und Abbild liegen mag, soll dich von mir aus begeistern. Ich habe mein Vergnügen zwischen Einkauf und Verkauf. Wirklichkeit und Abbild. Deine Arroganz mag dort ein Plätzchen haben. Mein Hochgefühl und meine vielen Lire sind auch nicht schlecht.

4.
     
    Der Playboy blieb von nun an versteckt. Ein zufälliger Besucher hätte beim beiläufigen Durchblättern auf die verräterischen Abnutzungsspuren gerade dieser vier Seiten stoßen und sich sein Teil denken können. Martin hatte ernsthaft darüber nachgedacht, sich eine Lupe zu kaufen, so besessen studierte er die Bilder. Als könne er durch intensives Betrachten doch noch in die Schatten vordringen, in denen der Fotograf routiniert alles Wichtige belassen hatte.
    Etwas anderes, als die Fotos anzusehen, blieb Martin nicht. Sie war verschwunden. An der Hochschule keine Spur von ihr. Dreimal war er an manchen Tagen im Aktsaal gewesen und schließlich irgendwann durch alle Klassen gegangen. Zwar hatte der eine oder andere sie nach seiner Schilderung erkannt, aber gesehen worden war sie nur im Aktsaal. Sie schien keiner der Klassen anzugehören. Martin gab auf, nachdem er bei allen Professoren, die Grafik oder Malerei unterrichteten, ebenso erfolglos vorgesprochen hatte. Der letzte, ein Maler namens Hanisch, reagierte arrogant und seltsam aggressiv.
    »Was glauben Sie denn«, sagte der Mann. »Sie kommen in mein Atelier und beschreiben mir eine Figur mit Baskenmütze, Augenfarbe und Teint, und ich geh Ihnen die Adresse der Dame ?«
    »In etwa, ja.«
    Der Professor trat mit der Fußspitze an die Tür, so daß sie weiter aufging : »Verschwinden Sie, los.«
    »Arschloch«, sagte Martin und ging. Er war so stolz auf seine Antwort und darauf, wie der Mann schweigend und zornig die Ateliertür zuschlug, daß er sich über das unangemessene Benehmen dieses Kerls keine Gedanken machte. So beschäftigt mit Anne, daß er nur sie selbst, nicht aber ihre Spuren im Verhalten anderer suchte.
    Nun sah er wahllos in die Kneipen und entschloß sich schwer, zu gehen, denn kurz nachdem er einen Ort verließ, konnte sie dort ankommen. Manchmal ging er zurück, noch vor Erreichen des nächsten Lokals, um noch einmal das eben verlassene zu überblicken.
    Irgendwann bestand er die Taxiprüfung und kaufte sich zur Belohnung eine Lupe.

31.
     
    Stolz nestelt Julian an seinem T-Shirt herum, bis er es endlich hochgezogen hat und die frische, wulstige Blinddarmnarbe zeigen kann.
    »Und dafür fliegt ihr nach Deutschland ?« fragt Martin.
    »Du solltest mal die Metzger hier sehen.« Manfred ist müde und glücklich. »Außerdem wußten wir’s ja gar nicht sicher.«
    Auch seine Frau wirkt zufrieden. Ihre Skepsis gegenüber Martin ist verflogen, da sie, offenbar erstaunt, feststellt, daß der Hund gut gepflegt und die Küche aufgeräumt ist.
    Fast ein bißchen wehmütig sieht Martin, wie die Familie ihre Wohnung wieder in Besitz nimmt und im Handumdrehen kein Platz mehr für ihn bleibt. Manfred schenkt ihm eine gerahmte Zeichnung, einen Esel, der auf einer Kanonenkugel fliegt, und fährt ihn mit seinen Sachen in die Stadt.
    »Ach herrje, Rudi«, ruft er aus, als Martin ihm die Adresse im Viale Vignola nennt. »Der muß stocksauer sein auf mich.«
    »Nein, nein. Du hast bloß ein Geschäft verpaßt.«
    »Ja ? Kein Luftschloß ?
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