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DER KUSS DES MAGIERS

DER KUSS DES MAGIERS

Titel: DER KUSS DES MAGIERS
Autoren: S. Landauer
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Stichwort.
    Sina drückte auf den Rahmen und wartete, bis die samtbezogene Fläche zu sehen war, dann strich sie wieder darüber und klopfte sogar dagegen. Halb erwartete sie, dass auch diesmal ihre Hand hindurchgleiten würde, doch von dieser Seite fühlte sich der Spiegel genauso hart an wie vorher.
    „Das ist ja wirklich seltsam. Dieser Spiegel scheint zu machen, was er will …“, meinte LeNormand, und sie drehte die Spiegelfläche wieder langsam nach vorn.
    Wie ein eingespieltes Team, schoss es ihr durch den Kopf. Als hätte ich schon hundert Mal mit ihm auf der Bühne gestanden. Sina hatte ihr Lampenfieber völlig vergessen und genoss die elektrisierende Spannung. Was würde als Nächstes geschehen?
    Die Antwort bekam sie wenige Sekunden später, als der goldene Rahmen plötzlich keinen Spiegel, sondern ein Bild zu enthalten schien. Es zeigte eine sehr romantische Waldlichtung voller hellblauer Blumen. Ein schmaler Bach plätscherte hindurch, an dessen Ufer große bemooste Steine lagen. Durch die hellgrün belaubten Bäume fiel Sonnenlicht. Das Bild war so real, dass Sina die Vogelstimmen und das Plätschern des Bachs fast hören konnte.
    Sie hielt den Atem an. Nein, sie hörte es wirklich! Offenbar wurde gerade eine Tonspur eingespielt, die das sehr plastische Bild noch realer wirken ließ.
    „Hätten Sie Lust auf einen kleinen Ausflug, Mylady?“, hörte sie LeNormands Stimme verblüffend dicht neben sich.
    Bevor sie etwas sagen konnte, hatte er ihre Hand genommen und zwei große Schritte gemacht – mitten durch den Spiegel, mitten in das Bild.
    Von einem Moment zum anderen stand Sina nicht mehr auf der Bühne, sondern auf der Lichtung. Verwirrt schaute sie sich um, doch von dem Spiegel oder seiner samtbezogenen Rückseite war nichts zu sehen.
    Stattdessen spürte sie eine leichte, warme Brise, die die Blätter zum Rascheln brachte, und hörte den Bach und die Vogelstimmen nun ganz deutlich.
    „Aber wie …“
    Ohne zu überlegen, streifte Sina die hochhackigen Pumps ab, in denen sie hier kaum richtig stehen konnte – und stand im nächsten Moment auf weichem, kühlem Moos. Sie waren wirklich auf einer Waldlichtung – so etwas konnte man unmöglich auf einer Kleinstadtbühne nachahmen. Oder?
    „Sieh mich an, Sina“, hörte sie LeNormands Stimme, und da fiel ihr auf, dass er noch immer ihre Hand hielt.
    Sie wandte ihm den Kopf zu und hielt den Atem an. Vor ihr stand nicht der Magier von der Bühne, sondern … sondern …
    „Du“, flüsterte sie.
    Natürlich hatte er sich nicht völlig verändert. Nur das Bühnen-Make-up war verschwunden, der schwarze Kajal fehlte, das lange Haar war im Nacken locker zusammengefasst. Und er lächelte jetzt, was seine Augen zum Leuchten brachte. Jetzt erkannte sie endlich, welche Farbe sie wirklich hatten, und es war das faszinierende Bernsteingold, das sie erst einmal in ihrem Leben bei jemandem gesehen hatte.
    In deinen Träumen …
    Nein, nicht nur in meinen Träumen, erkannte sie. Sie hatte das Gefühl, als würde ein Vorhang zur Seite gezogen, und dann sah sie sich, als Kind, wie in einer Filmszene.
    Der Tag vor meinem vierten Geburtstag. Ich bin mit Papa in der Stadt, um Sachen für meine Party einzukaufen, Mom bereitet zu Hause alles vor. Zum Schluss gehen wir in den Park, zum Tretbootfahren. Wir fahren zu dieser kleinen Insel im See, Papa sagt immer, es ist eine Pirateninsel, und ich bin ganz aufgeregt, weil ich mir vorstelle, dass auf der anderen Seite der Insel ein großes Schiff mit Segeln und voller Schätze liegt. Wir tun dann so, als würden wir uns anschleichen und die Piraten beim Vergraben beobachten, damit wir uns die Schätze holen können, wenn sie wieder weg sind. Und wir finden auch jedes Mal etwas – einen neuen Haarreif für mich oder einen Ring mit einem glitzernden Stein.
    Aber diesmal ist etwas anders. Als wir auf der Insel ankommen, will Papa gleich wieder umdrehen. Ich verstehe nicht wieso und bin ganz enttäuscht. Doch dann sehe ich jemanden am Strand stehen. Papa sagt mir, ich soll im Boot bleiben und mich nicht rühren. Er sieht ganz unglücklich aus, und ich habe plötzlich große Angst.
    Papa geht mit dem Mann in den Wald, ich sehe sie nicht mehr, und es passiert ganz lange gar nichts. So lange, dass ich noch mehr Angst bekomme … Wo ist mein Papa? Warum kommt er nicht wieder?
    Ich klettere aus dem Boot und gehe in den Wald, dorthin, wo ich ihn zuletzt gesehen habe. Aber da ist niemand, nur ein komisches Summen, und ein ekliges
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