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Der Kuss der Göttin (German Edition)

Der Kuss der Göttin (German Edition)

Titel: Der Kuss der Göttin (German Edition)
Autoren: Aprilynne Pike
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konnte immer noch kaum meinen Namen schreiben. Jedes Mal, wenn ich es versuchte, bekam ich wieder einen Heulkrampf. Reese ermutigte mich den ganzen November und Dezember hindurch. Sie sagte mir, die Kunst sei mir angeboren, ein Teil meiner Identität. Bis heute weiß ich nicht genau, warum es ihr so wichtig war. Aber es wurde Neujahr, und obwohl es mit meinen Händen besser wurde, war meine Malblockade immer noch dieselbe. An meinem letzten Tag im neurologischen Rehabilitationszentrum rief ich selbst die Schule an und trat zurück.
    Reese und Jay versuchten nicht, es mir auszureden.
    Ich seufze laut. Benson fehlt immer noch unentschul digt, mein Gefühl der Beklemmung hat nicht nachgelassen und drückt mich nieder; ich brauche etwas, um mich zu beschäftigen – um mich abzulenken –, während ich warte. Ich schnappe mir eine Zeitung vom Nachbartisch und fange an, mechanisch die Worte zu lesen, ohne sie wirklich aufzunehmen. Ich bin auf der zweiten Seite, als ich spüre, wie sich ein Arm auf meine Stuhllehne legt.
    »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat«, sagt Benson. Ich habe nur einen Augenblick Zeit, um verschwommen eine Cargohose und ein pastellgrün und blau kariertes Hemd zu sehen, bevor er neben mir auf dem Stuhl sitzt. Sein Atem fühlt sich warm an meinem Hals an, als er einen Blick in die Zeitung wirft, und ich spüre, wie meine Finger kribbeln. Ich fasse die Seite fester und zwinge mich, mich nicht vorzubeugen – meine Stirn nicht an seine Wange zu legen, um zu sehen, ob sie so weich ist, wie sie aussieht, oder stoppelig. »Marie hatte tonnenweise Zeug für mich zum Archivieren aufgehoben.«
    »Ich habe kaum gemerkt, dass du nicht da warst«, sage ich mit spöttischem Hochmut, obwohl mein Körper vor Erleichterung praktisch schlaff geworden ist. »Ich war so in den Artikel über die Seuche vertieft, die die Welt zerstören wird«, sage ich, aber mein Humor verpufft.
    »Schon wieder dieses Virus?«, fragt Benson grimmig und schiebt sich die Brille hoch, während er sich vorbeugt, um über meine Schulter hinweg den Artikel zu lesen.
    »Ja. Es gibt einen neuen Fall in Georgia. Tot in vierundzwanzig Stunden, genau wie die anderen sechs Leute in Kentucky.« Ich blättere zum ersten Teil der Geschichte auf der Titelseite zurück, dann reiche ich ihm den Teil der Zeitung.
    Seit ich beinahe gestorben wäre, habe ich das Gefühl, ich bin vom Tod umgeben. Ständig sterben Leute bei Unfällen, an Krankheiten und durch Zufall. Ich weiß, das war schon immer so, aber jetzt bin ich hypersensibel dafür.
    »Sechzehn Opfer bisher«, sage ich leise. Aber Benson reagiert nicht – sein Blick geht hin und her, während er liest. »Jays Labor hat ihm gerade den Auftrag gegeben, daran zu arbeiten«, füge ich hinzu, als Benson zur zweiten Hälfte des Artikels umblättert.
    »Wirklich?« Bensons plötzliche Aufmerksamkeit erschreckt mich.
    »Wirklich was?«
    »Jays Labor?«
    »Ja. Neuer Auftrag. Soll ich ihn danach fragen?« Benson verfolgt die Geschichte ziemlich aufmerksam seit der ersten Mini-Epidemie in Maryland letzte Woche. Dann Oregon und vor ein paar Tagen Kentucky.
    Benson schaut mir kurz in die Augen, schiebt dann die Zeitung von sich und lehnt sich zurück. »Nee. Ich kann mir vorstellen, alle arbeiten daran. In der Hoffnung, diejenigen zu sein, die den Durchbruch schaffen. Das ist nur sinnvoll.«
    »Ich glaube auch.«
    Benson schaut auf meinen Rucksack hinab. »Und wofür brauchst du meine unglaubliche Fachkenntnis?«, fragt er. Eigentlich hilft mir Benson nicht mehr allzu viel – ich brauchte hauptsächlich die Mikrofiche-Sache –, aber wir sitzen herum und diskutieren über meine Aufgaben und Lektüren, und er revanchiert sich oft mit eigenen Vorschlägen. Deshalb habe ich angefangen, Keats zu lesen.
    »Eigentlich ist es heute nur Differenzial- und Integralrechnung.«
    »Bitte! Was für eine Verschwendung meiner kreativen Fähigkeiten! Außerdem viel zu schwer«, sagt er grinsend. »Das lasse ich dich allein machen.«
    »Daaanke!«, erwidere ich und gebe ihm mit meinem Stift einen Klaps auf die Nase.
    Er zieht mit einem Finger meinen Rucksack auf und späht hinein. »Hast du etwas Spaßiges da drin? Geschichte zum Beispiel?«
    »Ich habe meinen Geschichtsunterricht fürs restliche Halbjahr schon fertig, das Letzte war das Referat, für das wir Freitag recherchiert haben. Wir haben unseren Nachtisch zu früh gegessen.« Da Benson und ich beide Geschichtsfans sind, war die Versuchung einfach zu groß,
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