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Der Kuss der Göttin (German Edition)

Der Kuss der Göttin (German Edition)

Titel: Der Kuss der Göttin (German Edition)
Autoren: Aprilynne Pike
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immer«.
    »Hey«, sagt Elizabeth und reißt mich mit einem hörbaren Luftschnappen zurück in ihr Büro. »Es könnte schlimmer sein. Du könntest eine Waise mit Kopfverletzung, schwachem Bein und bad hair day sein.«
    Nur eine Sekunde starre ich sie mit großen Augen an und versuche zu entscheiden, ob dieser Witz lustig ist oder nicht. Aber ihr Gesichtsausdruck – melodramatische Sorge mit einem Hauch echtem Mitleid dahinter – bricht durch meinen Panzer, und ich fange an zu lachen und wische mir gleichzeitig die Augen.
    Ich habe, das muss ich zugeben, eine merkwürdige Beziehung zu meiner Therapeutin. Ich nehme an, das liegt daran, dass keine von uns beiden glaubt, ich sei verrückt.
    Sie lässt sich von mir nicht einmal Dr. Stanley nennen – was auf den Diplomen steht, die an ihrer Wand hängen –, nur Elizabeth. Am Anfang dachte ich, das sei einer dieser billigen Tricks, die Erwachsene an Teenagern ausprobieren, damit die locker werden und ihr Herz ausschütten, aber Elizabeth hat sich wirklich jedes Mal gewunden, wenn ich sie Dr. Stanley nannte, und nach einer Weile bin ich schließlich umgeschwenkt. Inzwischen fällt es mir leicht.
    »Ernsthaft, Tavia«, sagt Elizabeth mit leiser Stimme. »Es muss nicht leicht sein. Ich finde, du bist sehr tapfer und kommst extrem gut mit allem zurecht.«
    »Mir kommt es aber nicht so vor«, gebe ich zu und zucke die Schultern in meinem schwarzen Kapuzenpulli. Mir haben Sweatshirts im Allgemeinen schon immer gefallen, aber in letzter Zeit ist mir eindeutig alles am liebsten, was meinen Kopf bedeckt – und damit die Narbe unter meinen immer noch zu kurzen Haaren.
    »Dann vertrau meiner professionellen Analyse«, sagt Elizabeth mit einem Lächeln, als sie mich durch das abgedunkelte und leere Wartezimmer begleitet. »Du gehst doch nicht zu Fuß nach Hause, oder?«, fragt sie, als wir den Ausgang erreichen. Wir mussten unseren normalen Termin verschieben, deshalb ist es schon nach Praxisschluss, und ihre Sekretärin – Sekretärin Barbie, wie ich sie nenne, weil ihr Gesicht aussieht, als sei es aus Plastik, und sie eigentlich nie mit mir spricht – ist schon nach Hause gegangen.
    »Nein, Reese kommt.« Ich gehe normalerweise – auf Anraten meiner Physiotherapeutin – tatsächlich zu Fuß, aber da es bald dunkel wird, hat Reese darauf bestanden, mich heute abzuholen.
    Das ist wohl in Ordnung.
    Organisiert und pünktlich, wie meine Tante ist, wartet sie schon auf mich. Ihr BMW parkt direkt vor der Tür. Sie lehnt sich über den Beifahrersitz, stößt die Beifahrertür auf und winkt Elizabeth zu.
    »Hey, Tave. Wie war’s?«, fragt sie mit Blick nach vorn, als sie losfährt.
    »Es war eine Therapiestunde«, sage ich, während ich meinen Gurt schließe. »Es war therapeutisch .« Ich lehne den Kopf gegen das Beifahrerfenster; ich will nicht darüber sprechen. Therapie ist … na ja, es ist persönlich. Und auch wenn ich Reese und meinem Onkel Jay unendlich dankbar bin, dass sie eine Stiefnichte bei sich aufgenommen haben, die sie kaum kannten, fühlen sie sich nicht so recht nach Familie an.
    Zum Glück versteht Reese den Wink und schaltet das Radio ein, als wir vom Parkplatz auf die Straße abbiegen. Sie hat eine unendliche Geduld. Zumindest mit mir. Mit Kunden am Telefon nicht so viel.
    Während der Fahrt schaue ich mir die Straßen um mich herum an – Portsmouth, New Hampshire, ist eine der ältes ten Städte der Vereinigten Staaten von Amerika, und sie haben die alten Kolonialbauten wirklich gut erhalten. Ich bin ein heimlicher Geschichts-Fan, und in den ersten paar Monaten hier bin ich so lange herumspaziert, wie es mein verletztes Bein zuließ, und habe die Denkmäler, Sehenswürdigkeiten und Museen erkundet. Es fühlt sich irgendwie passend an – eine Stadt, die in ihrer Vergangenheit stecken geblieben ist, und ich gefangen in meiner eigenen.
    Und die ganze Stadt ist so schön. Ich liebe alte Gebäude – so wird heutzutage einfach nicht mehr gebaut. Sie haben eine Anmut und Schönheit an sich, die der Gesellschaft abhandengekommen ist. Egal, wie elegant das ganze moderne Zeug sein soll: Irgendetwas an den handgeschnitzten Feinheiten der Kolonialarchitektur löst in mir Trauer um etwas aus, das einmal war.
    Am liebsten habe ich die perfekt erhaltenen Häuser aus dem achtzehnten Jahrhundert, die man hier und da mitten in einem modernen Stadtviertel findet. Wie ein im Sand vergrabener Schatz, de r nur darauf wartet, gehoben zu werden. Sie sind schwer zu finden, wenn
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