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Der Kuss der Göttin (German Edition)

Der Kuss der Göttin (German Edition)

Titel: Der Kuss der Göttin (German Edition)
Autoren: Aprilynne Pike
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ein paar Zimmer weiter den Flur entlang.
    Aber stattdessen bleibe ich sitzen und starre hinaus.
    Der blonde Kerl durchquert den Garten, ganz langsam, und tritt mit den Spitzen seiner kniehohen Stiefel Grasfetzen los. Seine Hände sind tief in den Taschen der Kniehose vergraben, die ich am Nachmittag bewundert habe, sodass sein langer Mantel an der Hüfte nach hinten geschoben wird und eine bestickte Weste entblößt. Er scheint sich keinerlei Gedanken darüber zu machen, dass er zu vollkommen unangemessener Uhrzeit auf einem fremden Grundstück steht. Er versteckt sich nicht oder hält sich auch nur in den Schatten. Er … geht einfach.
    Meine Nasenspitze streift das eiskalte Glas, und ich merke, dass ich praktisch meinen ganzen Körper ans Fenster gedrückt habe. Er dreht sich um und schaut direkt zu mir herauf. Unsere Blicke treffen sich.
    Ich erstarre.
    Irgendetwas scheint in den letzten zwölf Stunden mit meinem Körper nicht mehr zu stimmen; mein Fluchtreflex funktioniert nicht richtig, er steht einfach auf Stopp und klemmt. Ich zucke nicht einmal, als er mich ansieht – meine aufgerissenen Augen, meinen offenen Mund, meine Fingerspitzen, die zehn kleine Flecken auf dem beschlagenen Glas hinterlassen.
    Dann lächelt er – halb interessiert, halb amüsiert, als sei das eine Art Spiel.
    Aber ich kenne die Regeln nicht.
    Die Kraft scheint aus meinen Armen zu weichen, und meine Hände sinken langsam herab, meine Finger ziehen Streifen auf der beschlagenen Fensterscheibe. Wir verharren beide – die Zeit ist stehen geblieben – und starren uns nur an.
    Er hebt eine Hand und winkt mich mit einem behandschuhten Finger heran, lädt mich ein, zu ihm hinauszukommen. Ich quieke und weiche zurück, drücke mich flach an die Wand, damit er mich nicht mehr sehen kann.
    Damit ich ihn nicht mehr sehen kann.
    Das Herz pocht mir in den Schläfen und Fingerspitzen, während ich dort stehe, meine Atemzüge zähle und mich zu beruhigen versuche. Wer ist dieser Kerl? Wie hat er mich gefunden? Nach zehn langen Atemzügen flitze ich hinüber und drehe mich um, spähe hinter dem Vorhang hervor. Ich muss mich nicht verstecken , sage ich mir, ich bin nicht diejenige, die etwas falsch macht .
    Doch obwohl ich mehrere Minuten am Fenster stehe und hinabstarre, rührt sich nichts, bewegt sich nichts.
    Er ist fort.
    Ich bin so verwirrt. Ich kenne diesen Typen nicht – ich habe ihn noch nie zuvor gesehen.
    Warum vermisse ich ihn also?

K apitel 4

    I ch sehe Benson nicht, als ich in die Bibliothek komme – ein nicht gänzlich unbekannter Fall, denn er muss ab und zu auch tatsächlich arbeiten. Doch abgesehen von meinen Hausaufgaben ist der wahre Grund, warum ich hergekommen bin, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen. Ich bin so fertig mit den Nerven, dass es mein immer noch nicht wieder ganz erholtes Gehirn für unmöglich hält, einen Plan B zu entwickeln, als ich ihn nicht sofort entdecke.
    »Oh, Tavia, Schätzchen.« Maries leise Stimme erschreckt mich so, dass ich mit einem hörbaren Luftschnappen zu ihr herumwirbele. Ich muss mich beruhigen. »Benson ist hinten im Archiv. Möchtest du, dass ich ihn hole?«
    Marie ist die Bibliotheksleiterin und eigentlich Bensons Chefin. Sie ist aber ungefähr so streng wie eine Schüssel Schlagsahne und Benson liebt sie. Was bedeutet, dass sie ihn auch liebt – und wer würde das nicht? –, aber es heißt auch, dass sie sich oft in der Nähe herumtreibt, wenn wir arbeiten, und mir besondere Aufmerksamkeit schenkt, weil ich Bensons spezielle Freundin bin.
    Und sie betont immer meinen Namen falsch. Wir hatten das schon – Tave, das reimt sich auf cave , nicht auf mauve –, aber sie merkt es sich einfach nie.
    »J-ja, bitte«, antworte ich und hoffe, sie hat das Stottern nicht gemerkt. Sie lächelt nur und geht zum Verrücktwerden langsam nach hinten, wobei ihre welligen silbergrauen Haare wippen.
    Ich nehme an, es ist keine besonders schmeichelhafte Eigenschaft meines Privatlebens, dass mein einziger Freund ein Bibliothekspraktikant ist, aber angesichts dessen, dass ich die Highschool online mache und im Umkreis von zweihundert Kilometern keine Mitschüler habe, kann ich wohl kaum wählerisch sein. Nachdem ich während meiner körperlichen und neurologischen Genesung vier Monate Schule verpasst habe, war das Internet so ungefähr meine einzige Möglichkeit, wenn ich das Schuljahr nicht wiederholen wollte.
    Abgesehen davon fanden Reese und Jay, es sei besser für mich, hier draußen noch einmal ganz neu
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