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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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abgeteilten Bereich inmitten des australischen Farnwalds bemerkt und fragt sich, ob man diesen Raum nicht besser hätte nutzen können. Doch glücklicherweise ist dies das Einzige, was ihr missfällt, und niemals würde sie die Leistungen ihres geliebten Gemahls in der Öffentlichkeit kritisieren.
    Über die Buntglasgalerie geht es hinab und zurück ins Zentrum des Palasts, wo die Zurückgebliebenen aufgewühlt das Urteil der Königin erwarten. Doch muss das Urteil eindeutig ausfallen: Wann hat es jemals zuvor eine vergleichbare Demonstration menschlichen Schaffens gegeben? Wann eine reicher gefüllte Schatzkammer unter der Sonne? Einen imposanteren Beweis weltweiter Macht? Muss Britanniens Glanz nicht vom heutigen Tag an noch heller bis in die hintersten Winkel seiner Kolonien und der Schwärze jenseits der zivilisierten Welt hinaus erstrahlen?
    Victoria blickt zu Albert hoch und lächelt.
    Die Königin, so erfährt man später, fand großen Gefallen an amerikanischen Landwirtschaftsmaschinen und Porzellan aus Sèvres. Ob die Statue ihres Gemahls, dargestellt als arkadischer Schäfer, ihr eine deutbare Reaktion entlockte, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Den Koh-i-Noor würdigte sie keines Blickes. Der Stein gilt allgemein als Enttäuschung; das Blut nicht wert, das an ihm klebt.
    Joseph Paxton tritt vor und verneigt sich. Die Königin dankt ihm für seine Verdienste, doch Paxton bleibt bescheiden. „Ich habe nur meine Pflicht getan“, sagt er gefasst, den Kopf gesenkt, eine stille Vorbereitung auf seinen baldigen Ritterschlag: „Ich habe für meine Königin einen Palast gebaut.“
    Doch herrscht allgemeine Einigkeit, dass seine außergewöhnliche Konstruktion wegweisend für Bauvorhaben der kommenden Jahre und Jahrzehnte sein wird. Vielleicht, so die Königin, werde es bald überall auf der Welt solche Paläste geben.
    „Vielleicht“, antwortet Paxton. „Doch dieser Palast, hier im Herzen des Empire, wird immer einzigartig bleiben. Man wird zurückblicken und sagen: Dieser Palast war etwas ganz Besonderes.“
    Diese Bemerkung ruft zustimmendes Gemurmel und auch das eine oder andere erleichterte Seufzen unter den Zuhörern hervor. Dann bittet die Königin Paxton, sich zu erheben, und wendet sich von ihm ab. Der Duke of Wellington tritt an ihre Seite.
    „Natürlich kann dieses Glashaus nicht ewig hier stehen“, raunt sie ihm zu.
    „Natürlich nicht, Ma’am“, antwortet der Duke. „Doch ist dafür schon Sorge getragen – im Oktober schaffen sie es fort.“
    „Das ist gut“, nickt die Königin. „Der schöne Park – und das von einem Gärtner!“
    Der Duke will noch etwas erwidern, aber der Prinzgemahl nähert sich, und sie verstummen und lächeln wieder wie zuvor.
    Dann machen sich Victoria und ihre Familie zum Aufbruch bereit. Die Königin gibt das Zeichen, noch einmal erklingt die Nationalhymne, nördlich des Serpentine Lake feuern Kanonen einen Salut, die Springbrunnen im Palast erwachen zum Leben, und der Lord Chamberlain erklärt die Weltausstellung für eröffnet.

Letzte Triade

D ie ganze Nacht und den ganzen Tag war ich ohne Ziel durch London marschiert. Vom Hydepark aus nach Westen, bis nach Hammersmith, dann nach Süden über die Themse nach Brixton und nach Osten bis Greenwich. Irgendwann wurde mir klar, dass ich noch nie zuvor irgendwo hingegangen war, ohne dabei ein konkretes Ziel zu haben. Doch an diesem Tag ging ich einfach dahin, wohin mich meine Füße trugen, und fragte mich weder, wohin ich ging, noch wann ich dort ankommen würde. Eine Weile hatte ich jedes Gefühl für Zeit oder Richtung verloren und wanderte, ohne meine Füße zu spüren.
    Zur Mittagszeit war London wie ausgestorben. Ich nahm meinen Lunch in einer Gaststätte in Deptford ein. Es war ein einfacher, aber urbritischer Pub, mit Sägespänen auf dem Boden und dem Geruch abgestandenen Biers und von Zigarren in der Luft. Aus einer Laune heraus bestellte ich mir eine indische Mulligatawny-Suppe und ein niederländisches Grolsch und fragte mich dann, woher diese Laune wohl kam. Schließlich mochte ich weder indische Gerichte noch holländisches Bier. Immerhin, nach dem langen Marsch hatte ich auf beides Appetit, also zuckte ich die Achseln und ließ mir das Mahl munden.
    Dann zog es mich wieder hinaus in die Stadt, und erneut ließ ich mich dahin treiben, wo es meine Füße hinzog. Ich überquerte die Themse per Schiff nach Norden, wanderte durch das East End und die Docks und störte mich nicht an den getuschelten
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