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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Das schmutzige Schwarz der Bärenfellmütze, die keinen Sinn hatte außer den Soldaten größer erscheinen zu lassen, als er es in Wirklichkeit war, und vor allem das fahle Grau des unbewegten Gesichts.
    Was war denn eigentlich so bemerkenswert an der Fähigkeit, weder zu erröten noch zu erbleichen noch sonst irgendwelche Gefühle zu zeigen? Warum durfte die Wache nicht auf das reagieren, was sich um sie herum abspielte? Wir lebten im Zeitalter der Maschine, die Kraft des Dampfes regierte die Welt, und wir kannten die physikalischen Gesetze, die unsere Maschinen bewegten.
    Aber mussten wir uns darum selbst in Maschinen verwandeln?
    Denn die Wache vor mir war eine Maschine. Eine Maschine, die man so gebaut hatte, dass sie auf nichts reagierte, was einem Menschen erstaunlich erschienen wäre.
    Eine Straßenverkäuferin ging an mir vorbei. Sie trug einen halb leeren Weidenkorb mit Kartoffeln auf dem Rücken und unter dem Arm ein Schild: „Einen Penny das Pfund.“
    Ich wusste nicht, ob es meine Enttäuschung über mich selbst war, die mich auf die Idee brachte, oder die zynische Freude des Niederländers, Menschen zu verwirren, aber ich warf der Verkäuferin einen Penny zu und nahm mir die größte Kartoffel, die ich sah. Ihr Durchmesser war etwas größer als der eines Cricketballs, und ich konnte sie gerade noch so in der Hand halten.
    Die Frau dankte und ging ihres Wegs.
    Ich hielt dem Wachmann die Kartoffel in Armesabstand vors Gesicht, so dass er genau sehen konnte, was ich tat. Dann zerdrückte ich die rohe Kartoffel mit dem größten Genuss und ohne die geringste Anstrengung mit einer Hand und weidete mich daran, wie die Augen der Maschine immer größer wurden, während der Kartoffelmatsch mir durch die Finger rann.
    Während die Hand unbewusst arbeitete, fing mein Geist an, meine Handlung zu hinterfragen, und langsam erkannte ich, was ich da eigentlich tat. Es war ja wahr: Wir lebten im Zeitalter der Maschine, die Kraft des Dampfes und die Macht des Schießpulvers regierten die Welt, und wir kannten die physikalischen Gesetze, die unsere Maschinen bewegten und die die Wilden in Asien und Afrika und Südamerika nicht kannten, und darum waren wir stärker als sie.
    Aber wenn nun ein Wilder im afrikanischen Busch einen Dreyse-Zündnadel-Hinterlader fände und durch Herumprobieren herausfände, was er tun musste, damit die Waffe schoss, dann wäre er damit zwar stärker als alle Wilden um ihn herum, die er nun nach Belieben töten konnte, aber er wüsste immer noch nicht, warum das Gewehr so funktionierte, wie es das tat, warum es schoss und wer es gebaut hatte. Einem Wilden eine moderne Schusswaffe zu geben war genauso verantwortungslos, wie ein Kind mit einem Messer spielen zu lassen.
    Keiner der Kristalle gehörte in unsere Hand.
    Egal ob es der Niederländer gewesen war, der die Sinnlichkeit der Inderin gerochen und empfunden hatte oder ich selbst: Es war im Kristallpalast geschehen und hätte nie sein dürfen.
    Es war an der Zeit, dass ich mich Ada stellte und, noch wichtiger, es war an der Zeit, dass ich Ada zwang, sich mir zu stellen. Die absurde Fassade unserer Ehe musste entweder eingerissen oder das Haus dahinter mit Leben erfüllt werden.
    Dann warf ich die Reste der Kartoffel auf den Boden und schüttelte mir die Finger sauber. Ich – oder der Niederländer oder die Inderin – konnte nicht widerstehen, der Wache, die immer noch starrte, als sei ein Geist vom Himmel herabgestiegen, zuzuzwinkern. Danach winkte ich eine Kutsche herbei.
    Die Kutscher hielt vor mir an. Links und rechts vom Kutschbock leuchteten Blendlaternen, die Lichtkegel aus dem Dunkel schnitten. Ich freute mich an dem warmen, gelben Licht, so ganz anders als das grelle Weiß der vergangenen Nacht.
    „Wohin soll’s gehen?“, fragte der Kutscher, während er nach unten griff und mir die Tür öffnete.
    Ich wollte ihm gerade sagen, wo ich zu Hause war, da wanderte mein Blick nach oben. Im rauchverhangenen Nachthimmel riss die Decke grauer Wolken auf, und das schwarze Firmament kam dahinter zum Vorschein. Ein einzelner Stern funkelte dort, ich wusste nicht welcher, und mir war, als fiele ich nach oben, wenn ich mich nicht an der Kutschentür festhielte; durch den Riss in den Wolken in die Schwärze des Himmels und hin zu diesem einzelnen Stern, der mich anzog, und ich wusste, wenn ich dort hineinfiele, dann wäre ich verloren und mit mir alles, was ich war, und alles, was mich umgab. Mir schwindelte, und ich schüttelte den
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