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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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wurde still. Es schien, als würden sie in Gedanken beraten. Ich legte mir eine Entschuldigung zurecht, doch die anhaltende Stille erlaubte mir nicht, sie anzubringen. Dann legte ich mir eine beredtere Entschuldigung zurecht, doch wieder verstrich die Zeit mit Schweigen, und ich fürchtete, die Heeren nur noch mehr zu verärgern, wenn ich es brach. Schließlich versuchte ich, etwas zu sagen, konnte mich aber selbst nicht verstehen. Die Stille erschien mir endlos. Entweder war unsere Verbindung unterbrochen, oder sie hatten mich bereits aufgegeben.
    Da sagte die erste Stimme endlich: „Er kann sich noch einmal bewähren. Wir lassen Gnade walten vor Strafe. Handle er von nun an weise.“
    Dank euch, Heeren . Wie soll ich nun vorgehen?
    „Seine Herren zuerst fragen ist weise. Nun höre: Die Stadt ist die der Vielen. Viele Augen, viel Neugier.“
    Aber ich bin in dieses Schauspiel gegangen, um der Polizei im Notfall sagen zu können, dass ich dort war!
    „Das ist, was er sagt. Er und wer noch? Eine namenlose Frau und ein Lakai? Pöbel und Kotsammler.“
    Ärgerlich, dass mir dieser Gedanke nicht zuvor gekommen war. Natürlich war mein Alibi nichts wert, solange es nur von niederen Bediensteten stammte. Ein Billet und ein bestochener Platzanweiser allein nutzten nicht viel, auch wenn der Platzanweiser nicht freiwillig zugeben würde, dass er sich hatte bestechen lassen. Schade, dass mir das alles erst jetzt deutlich wurde.
    Ihr habt recht, ich habe nicht weise gehandelt. Was kann ich aber jetzt noch tun?
    Die Stimme schnarrte, während mich ein neuerlicher Schwall von Holz- und fauligem Bananenduft überrollte, was jedoch deutlich besser war als die Übelkeit: „Er ist weise genug, seine Herren zu fragen. Nun höre: Sie streben nach dem Licht. Sei wie das Licht am Morgen. Werde mehr, wo du nicht weniger werden kannst. Leuchte, wo du nicht dunkel sein kannst. Sei die grelle Sonne und brenne dein Bild aus ihren Augen! So wird man dich vergessen. So sinkst du hinab ins Nichts der Erinnerung.“
    Ich verstand nicht das Geringste von dem, was die Stimme sagte, doch bevor ich noch etwas sagen oder denken konnte, durchfuhr mich plötzlich erneut der Schmerz.

    „Mann, Sie sehen aus, wie ich mich fühle.“
    Es zog mich fort. Von Blei, von Holz. Fort.
    „Doch wirklich, Sie sehen aus, wie ich mich fühle.“
    Fort von Lakritze, vom Kolonialwarenladen meiner Kindheit, meiner Hölle, fort.
    „Doch, doch, bei George!“ Die Stimme kam eindeutig nicht aus meinem Kopf. Ich musste also wieder im Theater sein. Langsam verflog der widerliche Geruch überreifen Obstes, nahmen die Nebel um mich Gestalt an und formten sich zu einem Herrn, der sich zu mir niederbeugte. Dem Anschein nach saß ich auf dem Boden. „Ehrlich, Sie sehen aus, wie ich mich fühle“, wiederholte er.
    „Ein Witz, ich verstehe“, antwortete ich so trocken wie möglich. Ich mag es nicht, wenn jemand auf Teufel komm raus einen Lacher einfordert. Der Mann übersah mein Missfallen nicht und wurde sogleich ernster.
    „Bei George, Ihnen geht es ja wirklich schlecht. Ich dachte, Sie hätten nur einen zu viel.“
    „Nein, nein, es geht schon.“ Ich rieb mir die Augen, um danach hoffentlich deutlicher sehen zu können. „Die Austern, Sie verstehen. Ich befürchte, eine war nicht mehr ganz frisch.“
    „Dann sollten wir einen Doktor holen. Wenn Sie sich eine Vergiftung ...“
    „Nicht nötig!“, intervenierte ich, „ich bin ...“
    „Arzt?“
    „Was?“ Ich hasste es, wenn ich so benommen war. Wie leicht man sich in etwas verstricken ließ, wenn einem die Kontrolle fehlte!
    „Dann können Sie auch gleich selbst Ihre Bisswunde nähen. Sieht übel aus“, meinte er und wies auf etwas an meinem Körper. Ich sah an mir herab und bemerkte, dass meine Hand blutete. So hatte ich also verhindert, mir auf die Zunge zu beißen.
    „Helfen Sie mir auf“, bat ich, und als er meiner Bitte nachkam, fiel mir auf, dass ich ihn schon einmal getroffen hatte. Sein Pudergeruch, seine verschmierten Augenlider. „Sind Sie – Entschuldigung, geben Sie mir doch das Handtuch da –, sind Sie nicht einer der Bühnenkünstler?“
    „Bei George!“ Er baute sich selbstbewusst vor mir auf. „Wäre ich keiner, hätte ich nichts hinter der Bühne verloren! Bleibt die Frage, ob ein Arzt ...“
    „Wir sind hinter der Bühne? Ich ... oh ja, ich hatte eine Toilette gesucht. Die Austern ...“ In der Tat, wir befanden uns in einer Kleiderkammer in der Nähe des Foyerzugangs. Weiß der
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