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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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Moment die Straßen durchkämmen; sie würden Männer an den Docks und Bahnhöfen postieren, Warnungen an die Kutscher ausgeben und berittene Boten zu den Ausfallstraßen nach Süden und Norden senden, um die Transitwege nach Leatherhead und Cockfosters im Auge zu behalten.
    Behaglich ließ ich den Blick über die Ränge schweifen. Was sich dort abspielte, war nur schemenhaft auszumachen. Man abonniert nicht einen Rang, um im Gewühl zu stehen, nahm ich an; man will sich ungestört vergnügen, ohne belästigt zu werden. Will man sich zeigen, so setzt man sich nahe an den vorderen Rand des Balkons, applaudiert und lächelt mehr oder weniger bestimmt in die Menge. Für gewöhnlich sitzt man jedoch im rückwärtigen Teil der Loge, beschattet und für sich. Es konnte gut sein, dass sich sogar ein Mitglied der königlichen Familie mit mir in diesem Theater befand.
    Es war allerdings eher zu vermuten, dass die Familie diesen Abend mit häuslichem Kartenspiel am Kamin verbrachte, wie überhaupt wenige Einheimische dieser Tage allzu viel Ausgehfreude aufzubringen schienen, denn die bevorstehende Ausstellung machte manch einen misstrauisch. Die Metropole war voller Fremder, wie ich selbst einer war; allerlei Hautfarben, Kleidungsarten und sonstige äußere Zeichen der Herkunft fand man in den Straßen und Gassen. England, Herrscherin über weite Teile der Welt, war kaum darauf eingerichtet, ihre Gäste zu empfangen. In den Tageszeitungen spekulierte man über geplante Attentate, vermeintliche Verschwörungen, spitzbärtige Deutsche, die auf den Bänken des Hydeparks miteinander tuschelten, breitbeinige Amerikaner, die in Missachtung der guten Manieren Kautabak auf die gutbürgerlichen englischen Gehsteige spuckten und aufgeschreckten Schulkindern ins Gesicht schrien, auch sie würden bald Baumwolle pflücken müssen. Es wurde schlichtweg eine Menge Gerede verbreitet, sei es, um die Auflagenzahlen der Blätter zu erhöhen, oder, weil man sich bewusst wurde, dass die Welt, über die man herrschen wollte, so klein war, dass sie direkt vor der eigenen Haustür anfing.
    Die Stimmung war überall gespannt; während man sich im Westend in gebührlicher Zurückhaltung übte, war es zum Leidwesen der ausländischen Besucher auf den Docks und in einigen Spelunken in Bethnal Green zu blutigen Zwischenfällen gekommen. In dieser Lage nun hatte ich ausgerechnet ein Mitglied der königlichen Kommission getötet. Für die Öffentlichkeit würde sich die Sache sicher als ein diplomatischer Zwischenfall darstellen – und es konnte gut sein, dass sie sich letzten Endes zu einem solchen entwickelte.
    Ich musste so früh wie möglich Kontakt mit den Heeren aufnehmen, um sie von meinem Fund zu unterrichten und mich mit ihnen über die nächsten Schritte zu beraten. Doch zuerst wollte ich in meinem Triumph baden. Wer hätte gedacht, dass Sedgwick eine solche Kostbarkeit sein Eigen nannte? Der Einsatz hatte sich mehr als gelohnt.
    Da kam mir ein beängstigender Gedanke. Zwar hätten in dieser Nacht weder ungebetene Gäste noch ein schlechtes Gewissen auf mich warten sollen. Andererseits mochte es aber zu gefährlich sein, sich ganz allein in der Nacht zu bewegen. Griff mich die Polizei mit dem Artefakt in der Tasche auf, würde man mich entweder gleich an der Laterne aufknüpfen oder, wenn man nicht wusste, worum es sich handelte, einsperren.
    Das Artefakt war zu wertvoll, um in fremde Hände zu gelangen. Wo war es also besser aufgehoben als in einer Menge vergnügungssüchtiger Menschen? Wenn sie dann in Schwärmen auf die Straße zogen, zu ihren Familien, Dirnen oder sonst wohin, dann würde ich nur einer unter vielen sein. Unbeobachtet und unantastbar. Ich freute mich über meine Intelligenz, die so klar die verachtenswerte Vergnügungssucht der Engländer überstrahlte. Wie brach sich mein Anblick in dem Kronleuchter in unzählige, nicht minder prächtige Ebenbilder. Vervielfältigt, ich!
    Ach, die Engländer. Sie würden sich wundern, wenn sie endlich aus ihrem kleinen imperialen Traumgebilde erwachten. Diese blonde Dame in der Loge mir gegenüber zum Beispiel, wie sie einem der Schauspieler zuzwinkerte und er, ganz genau wissend, was sie tat, es vorzog, sie zu ignorieren. Sie indessen beeindruckte das wenig. Wie dickköpfig sie an der Vorstellung zu hängen schien, sie sei seine Favoritin. Sie sah gut aus, sehr sogar. Fast gut genug. Ich stellte mir vor, wie sie privat wäre: ein kleines Séparée, Champagner ... es stellte sich allerdings
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