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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
Autoren: Ralf Isau
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Aushilfsküchenjungen vorbei.
    Nach verhältnismäßig kurzer Zeit hatte Jeff seine Niederlage überwunden. Er schlug den von Dorothy beschriebenen Weg ein, fand den Dienstboteneingang und kollidierte hiernach fast mit einem der Hauspagen. Dieser wies ihm den Weg in die Küche, wobei er keinen Hehl daraus machte, was er von einem Ersatz für eine Hilfskraft hielt.
    The Weald House verfügte zurzeit über den Luxus zweier Küchenchefs. Der eine war Italiener und hieß Alberto Rodari, der andere stammte aus Japan und kochte unter dem Namen Ohei Ozaki. Er war mit seinem Herrn eigens für dieses Treffen angereist und wurde vom übrigen Dienstpersonal der Einfachheit halber Double-O genannt. Weil niemand mit dem exotischen Zwerg aus dem Land der aufgehenden Sonne zu tun haben wollte, ordnete man ihm kurzerhand den Neuen zu – also Jeff.
    Double-O war quirlig, ungefähr Anfang dreißig und konnte Englisch sprechen. Sogar recht ordentlich, wenn man bedachte, dass er mit Stäbchen im Mund aufgewachsen war (Jeff hatte das einmal in einer Zeitung gelesen). Der pummelige japanische Koch spannte seinen neuen Küchenjungen sofort ein. Jeff musste aus den Speisekammern hundert verschiedene Zutaten heranschleppen: Gemüse aus Kent, Fleisch von schottischen Rindern und Fisch aus der Straße von Dover.
    Nach etwa einer Stunde wurde Double-O leutseliger. Während Jeff ihm riesige Töpfe mit Wasser heranschleppte, Gemüse putzte und andere Handreichungen verrichtete, lauschte er den Schwärmereien des schnurrbärtigen Kochs über dessen Heimatland. Mindestens in jedem dritten Satz erwähnte Double-O die Großtaten des Tenno. Auf Jeffs Frage hin, wer oder was denn ein Tenno sei, erging sich Ozaki ungefähr eine weitere Viertelstunde über den »himmlischen Kaiser« – dies nämlich sei die Bedeutung des japanischen Herrschaftstitels. Der göttliche Kaiser Meiji befände sich auf dem besten Wege Nippon zu jenem Ruhm zu verhelfen, der dem Inselreich von alters her zustehe. Er treibe seit 1868 umfangreiche Reformen voran, die Nippon – oder Japan, wie Jeff es nannte – bald an die Seite der großen westlichen Nationen stellen würden. In den letzten vierzehn Jahren habe Kaiser Meiji sein Land um mindestens einhundertvierzig Jahre vorangebracht. Dabei hätte man viel von Großbritannien gelernt, räumte Double-O ein. Er sprach sich anerkennend über das britische Militärwesen aus, insbesondere die Marine. Auch das englische Königshaus habe ihn sehr beeindruckt – wenn auch der Umstand, dass mit Victoria eine Frau auf dem Thron sitze, ihn ein wenig irritiere.
    Im Verlaufe von zwei Stunden hatte es der kleine Asiate mit dem halblangen dicken schwarzen Haar und dem herabhängenden Schnurrbart geschafft, aus einem englischen Jungen einen Liebhaber japanischer Lebensart zu machen. Double-O sprach – abgesehen vom Tenno natürlich – über die Landschaft, das Essen, die Bräuche, das Kabuki-Theater, die verschiedenen unter dem Begriff Budo zusammengefassten Kampfkünste, die Musik, den heiligen Berg Fujiyama, die Tuschmalerei, die Kettengedichte des Renshi und von so vielen anderen Dingen, dass Jeff gar nicht bemerkte, wie die Haut seiner Finger unter allerlei feuchten Verrichtungen immer schrumpliger wurde.
    Etwa um die Zeit, als man für die Gäste auf den Zimmern Tabletts mit Tee und Gebäck herrichtete, nahm Jeffs kurzweiliger Küchendienst eine unerwartete Wende. Er war gerade dabei, Double-O in großspurigen Tönen von seinen Plänen in Hinblick auf die Englische Riviera zu berichten, als Alberto Rodari, der Küchenchef des Hauses, und ein weiterer Mann, den Jeff zuvor schon mehrmals hektisch durch den Raum hatte fegen sehen, sich unvermittelt vor dem japanischen Chefkoch aufbauten. In ihrem Schlepptau befand sich ein vielleicht fünfzehnjähriges Mädchen, das Jeff bisher noch nicht aufgefallen war. Rodari hüstelte, bis Double-O, der gerade mit einem großen Messer in atemberaubender Geschwindigkeit einen Schikoree in Gemüsegrieß verwandelte, von seiner Arbeit aufsah.
    »Ihr wünscht, Meistel Lodali?«, fragte Double-O stirnrunzelnd. Er konnte das R nicht richtig aussprechen, was seinem Unmut über die Störung eine gewisse exotische Note verlieh.
    »Verzeiht, Meister Ozaki. Aber dies hier ist William Bloomberry. Er beaufsichtigt den reibungslosen Ablauf des Abends und wünscht Euch etwas zu sagen.«
    Double-O verneigte sich in Richtung des besagten Mannes. Bei allem Respekt, aber was immer Bloomberry wolle, das sein
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