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Der kranke Gesunde

Der kranke Gesunde

Titel: Der kranke Gesunde
Autoren: Andreas von Pein , Hans Lieb
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für etwas anderes frei werden.
    Wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben wie auch immer sie lautet, empfiehlt es sich, das auch Mitmenschen mitzuteilen, damit diese nicht im Dunkeln tappen.
    Möglicherweise wollen oder sollten Sie Ihre Entscheidungen nicht im stillen Kämmerlein treffen, sondern Ihre Familie oder Ihren Partner einbeziehen, Sie können z. B. eine Paar- oder Familienrunde »anberaumen«, bei der jeder sich äußert: Soll es beim Alten bleiben? Soll das Hin und Her fortgesetzt werden? Soll etwas Neues gewagt werden? Dabei geht es meistens darum, sich zuerst der alten Gewohnheiten rund um das psychosomatische Symptom herum bewusst zu werden, um dann zu Entscheidungen zu gelangen, die etwas verändern.
Das Prinzip der kleinen Schritte
    Martin: »So konsequent ich war, als es darum ging, mich trotz oder wegen meines Herzrasens zu bewegen und mich angstbesetzten Situationen zu stellen, so unsicher und zögerlich war ich bei der Umsetzung anderer Beschlüsse. Mit meinem Vorsatz, immer meine Meinung zu sagen – egal wann und zu wem – hatte ich mich total übernommen! Mit diesem Riesenvorsatz im Rücken fiel ich sofort wieder in alte Verhaltensweisen zurück und glaubte dann, alles sei umsonst gewesen. Manchmal saß ich dann wieder ängstlich auf dem Sofa – wie in meinen ›besten Zeiten‹! In solchen Momenten halfen mir Ermunterungen und Bestätigungen von anderen!«
Veränderung ist nicht nur Sache eines Einzelnen
    Weil das Paar »Psyche und Soma« in der sozialen Welt lebt, diese mitprägt und von ihr geprägt wird, können und müssen etliche der anstehenden Veränderungen auf der Ebene der sozialen Welt stattfinden. Zwar entscheiden und handeln auch hier im Grunde immer Einzelpersonen. Die Veränderung von Systemregeln oder von »Kranken- und Gesundenrollen«, wie wir sie auf →  S. 165 vorgestellt haben, liegt aber nicht in der Hand eines Einzelnen. Das hat niemand allein in der Hand. Soll eine Veränderung von Dauer sein, müssen alle daran mitwirken, ob gern oder ungern, freiwillig oder gezwungen, bewusst oder unbewusst. Egal, wer anfängt. Hier seien einige Regeln genannt, deren Einführung in die soziale Welt üblicherweise heilsame Auswirkungen haben, wenn man danach handelt.
    Tipp
    Regeln für ein heilsames Miteinander
Man kann und muss dem Kranken nicht von den Augen ablesen, was er will oder braucht.
Das Leid des Kranken wird nicht geringer, wenn andere auch leiden.
Ein Sowohl-als-auch ist besser als ein Entweder-oder.
Man kann die Krankenrolle und die Gesundenrolle gelegentlich tauschen oder neu aufteilen.
Man kann miteinander verbunden sein, auch wenn man sich abgrenzt.
Und man kann sich abgrenzen, auch wenn man verbunden ist.
Die Suche nach einem Schuldigen führt zu Anklagen und Schuldgefühlen. Die Suche nach Lösungen zu Lösungen.
Was vergangen ist, kann man nicht ändern. Man kann aber sehen und anerkennen, für wen was schlimm war.
Rückfälle in altes Verhalten sind Vorfälle zum Lernen.
Welche Änderungsprozesse hat Bettina durchlaufen?
    Bettina: »Für mich war es zuerst wichtig zu begreifen, dass Martin trotz seiner Symptome körperlich nicht krank ist und das auch mit entsprechendem Wissen belegt bekommen zu haben. Ich habe eingesehen, wie sehr ich ihn geschont und – ehrlich gesagt – darin am Ende gar nicht mehr ernst genommen habe! Es war mühsam zu erkennen, dass ich ihn genau dadurch, dass ich ihn wie einen hilflosen Kranken behandelte, kränker machte! Und wie sehr ich dabei meine eigenen Gefühle, Wünsche und Erwartungen hinten angestellt und mich in der Rolle der Gesunden so auch gut versteckt habe. Manchmal habe ich mich in der Rolle der ›Helferin‹ recht wohl und moralisch erhaben gefühlt.

Wir fragen jetzt direkt, was der andere erwartet, statt herumzurätseln
    Eine neu erworbene Gewohnheit hat mir sehr geholfen: Martin wieder und wieder zu fragen, was er von mir erwartet. Eigentlich ja eine banale Frage. Ich hatte sie aber in meiner ›Krankenversorger-Rolle‹ nicht mehr gestellt. Und dann seine Antwort auch ernst zu nehmen! So brauchte ich nicht mehr he rumrätseln, was er wohl ›eigentlich‹ meint oder was ihm gut tue. Ich beschloss einfach, keine Schuldgefühle mehr zu haben. Ich entdeckte, dass ich ein Leben ohne Martin habe und er eines ohne mich und dass das unserer Beziehung nichts wegnimmt. Im Gegenteil. Je mehr Fortschritte Martin machte, desto weniger wollte er mich als Krankenschwester haben.
    Manchmal fällt es mir allerdings auch heute
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