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Der kranke Gesunde

Der kranke Gesunde

Titel: Der kranke Gesunde
Autoren: Andreas von Pein , Hans Lieb
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bewertet? Wie bewertet meine Psyche meinen Körper, mein Aussehen, meine lästigen Symptome? Als Gefahr? Als Ausdruck einer Schwäche? Das ist Ihr Ausgangspunkt.
    Suchen Sie sich dann drei negative Bedeutungen oder Bewertungen heraus, von denen Sie bisher ausgegangen sind: eine über Ihren Körper, wenn er das Symptom zeigt (Beispiel: »krank«), eine über sich als Person, die gerade diese Beschwerde hat (Beispiel: »Schwächling«) und eine, von der Sie wissen oder vermuten, dass andere über Sie so denken (Beispiel: »der Wehleidige«). Finden Sie dann für jede dieser negativen Bewertungen eine positive Alternative: Wie könnte man das anders werten? Was wären neutralere Worte und Bewertungen, die das ganze harmloser machen und normalisieren (Beispiel: »Eine kleine Malaise.« – »Das hat mit mir als Person nichts zu tun.« – »Das ändert nichts an meinem Ansehen.«). Vielleicht finden sie sogar positive Worte und Bewertungen (»Mein Körper gibt mir einen wertvollen Hinweis.« – »Ich bin eine sensible Person.« – »Andere schätzen und mögen mich so.«). Und dann lassen Sie diese Umbewertungen einmal probeweise einen Tag lang auf sich wirken. Vergleichen Sie das dann mit der Wirkung, die vorher die negativen Bewertungen hatten.

5. Schritt: Neues Verhalten
    Um die bisher im Kopf stattfindenden Veränderungen zu dauerhaften zu machen, müssen sie sich in Verhalten und Handeln zeigen – sich selbst und vor allem der sozialen Welt (Welt 3) gegenüber. Erst wenn das Neue für die Psyche selbst und für die soziale Welt zur neuen Gewohnheit geworden ist, ist der Veränderungsprozess abgeschlossen. Man sieht daran: Veränderungen brauchen Zeit, in der eine neue Sicht immer wieder eingenommen, ein neuer Name oder ein Begriff immer wieder verwendet und eine neue Bewertung wieder und wieder vorgenommen wird. Neues Verhalten »krönt« dann die Veränderung, die im Kopf begonnen hat. Wer über sich eine neue Sicht hat, Neues beobachtet, einer Körperaktivität einen neuen Namen gegeben oder diese positiv bewertet hat und wer nun will, dass dieses »Neue« Bestand hat, der muss das in sein tägliches Verhalten einfließen lassen. Das birgt natürlich Risiken. Zeigt man in der sozialen Welt neues Verhalten, lockt das auch bei anderen neues Verhalten hervor. Wenn Nora ihrer Familie mitteilt: »Ihr fahrt jetzt allein in Urlaub, ich bleibe hier«, dann kann das ganz schön Gegenwind erzeugen. Wer merkt, dass seine Magenschmerzen zunehmen, wenn er »Ärger schluckt« und deshalb zur Förderung seiner Selbstheilung in der Firma plötzlich Überstunden ablehnt oder im privaten Leben sich kritisch äußert, wo er bisher geschwiegen hat, kann dadurch einige Konflikte heraufbeschwören. Wer gehofft hatte, der Partner möge all die nicht geäußerten geheimen Wünsche »von den Augen ablesen« und diese jetzt äußert (»Ich bitte dich darum, dass …«), kann sich auch eine Abfuhr einholen.
Welche neuen Erfahrungen hat Martin gemacht?
    Martin: »Mit der Erkenntnis, wie sehr ich in die Krankenrolle geschlüpft war, begann ein ebenso schwieriger wie am Ende fruchtbarer Prozess, der manchmal ebenso intuitiv ablief wie ich ihn manchmal ganz bewusst gesteuert habe. Ich entdeckte, über wie viel Risikobereitschaft ich verfüge, ohne diese in meiner Krankenrolle genutzt zu haben. Nicht nur bezüglich körperlicher Belastung! Im Betrieb war ich immer der, der bei Konflikten schlichtete, aus Angst vor Streit. Aber je mehr ich diese Angst erkannte und ihren Sinn verstand (z. B. mich vor einem befürchtetenAusschluss ›von meiner Krankenrolle‹ zu schützen), desto klarer wusste ich an manchen Stellen: Jetzt sagst du deine Meinung – egal wie andere das finden! Und jedes Mal, wenn ich das dann trotz Angst auch getan habe, wuchs ich innerlich ein Stück!
    Außerdem habe ich mich dafür entschieden, mich körperlich zu belasten. Ich hatte die Experten zwar oft sagen hören, ich sei organisch gesund. Aber geglaubt und gefühlt habe ich das erst, als ich selbst danach handelte. Ich bin wieder in meinen Sportverein eingetreten und habe an Waldläufen teilgenommen! Im Zweifelsfalle ein Risiko einzugehen, wurde mir zu einer äußerst hilfreichen Leitlinie in Angstsituationen.
Angstbewältigungstraining
    Geholfen hat mir dabei ein Angstbewältigungstraining. Hier wurde mir von den Therapeuten erklärt, dass man Angst vor Situationen dadurch abbaut, dass man genau diese Situation wieder und wieder aufsucht. Man bleibt dann so lange in
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