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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake
Autoren: China Miéville
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einer von jenen Menschen, die sich selbst einen neuen Namen gaben und dass Marge die Kurzform für Marginalia sei.
    »Für was? Wie lautet ihr richtiger Name?«
    »Billy«, erwiderte Leon, »sei nicht so ein Spielverderber.«
    »Wir haben einem ulkigen Taubenschwarm vor einer Bank zugeschaut«, sagte Leon, während Billy sich setzte.
    »Wir haben über Bücher diskutiert«, sagte Marge.
    »Das ist das beste Gesprächsthema«, stellte Billy fest. »Um was ging es genau?«
    »Lenk ihn nicht ab«, sagte Leon, doch Marge antwortete bereits. »Virginia Woolf gegen Edward Lear.«
    »Allmächtiger Jesus Christus«, entfuhr es Billy. »Sind das meine einzigen Wahlmöglichkeiten?«
    »Ich habe mich für Lear entschieden«, sagte Leon. »Teils aus Treue zum Buchstaben L. Teils weil man, vor die Wahl zwischen Unsinn und leerem Geschwätz gestellt, ungeniert für Unsinn stimmen muss.«
    »Du hast offensichtlich das Glossar von Drei Guineen nicht gelesen«, wandte Marge ein. »Du willst Unsinn hören? Die Woolf nennt ›Soldaten‹ ›Eingeweidezerfetzer‹, setzt ›Heroismus‹ mit ›Botulismus‹ gleich und ›Held‹ mit ›Flasche.‹«
    »Lear?«, fragte Billy. »Wirklich? Im Land des Fiddly-Faddly ist der Binkerly-Bonkerly zu Hause.« Er nahm die Brille ab und kniff sich in die Nasenspitze. »Na schön, ich will euch etwas verraten. Und zwar Folgendes«, sagte er schließlich und dann, aus welchem Grund auch immer, blieb er stecken. Leon und Marge starrten ihn an.
    Billy versuchte es abermals. Er schüttelte den Kopf. Schnalzte mit der Zunge, als hinge etwas in seinem Mund fest. Am Ende musste er die Information geradezu mit Gewalt zwischen seinen Zähnen hervorpressen. »Eines unserer ... Unser Riesenkalmar wird vermisst.« Es auszusprechen war, als würde man einen Deckel von etwas Schlimmem anheben.
    »Wie bitte?«, sagte Leon.
    »Ich glaube, ich verstehe nicht ...«, sagte Marge.
    »Nein, für mich ergibt es auch keinen Sinn.« Er schilderte es ihnen Schritt für unfassbaren Schritt.
    »Weg? Was meinst du mit ›weg‹? Warum habe ich noch nichts davon gehört?«, fragte Leon schließlich.
    »Keine Ahnung. Ich hätte angenommen, es wäre ... ich meine, die Polizei bat uns, das Ganze geheim zu halten - autsch, sieh mal, was ich getan habe -, aber ich hätte nicht erwartet, dass es tatsächlich funktioniert. Ich hätte eher angenommen, dass es längst auf der ersten Seite des Standard steht.«
    »Vielleicht gibt es, wie heißt es doch gleich, eine D-Notice dazu«, sagte Leon. »Du weißt schon, eine Anweisung, mit der die Journalisten zum Schweigen verdonnert werden.«
    Billy zuckte mit den Schultern. »Sie werden es niemals schaffen ... Die Hälfte meiner Besuchergruppe hat es sicherlich bereits in irgendeinem Blog veröffentlicht.«
    »Jemand hat wahrscheinlich längst die Site Riesenkalmarweg.com registrieren lassen«, sagte Marge.
    Wieder hob Billy die Schultern. »Schon möglich. Wisst ihr, als ich hierher unterwegs war, dachte ich, vielleicht sollte ich nicht ... Beinahe hätte ich es euch nicht erzählt. Das Ganze jagt mir eine Heidenangst ein. Aber das Verrückte ist für mich nicht, dass die Cops nicht wollten, dass wir darüber reden, sondern das ganze ›Völlig Unmöglich‹ an dieser Geschichte.«
    Als er an diesem Abend nach Hause zurückkehrte, tobte sich ein furchtbares Gewitter aus, das die Luft mit Elektrizität erfüllte. Wolkenberge färbten den Himmel dunkelbraun. Wie in einem Urinal strömte Regenwasser in breiten Bahnen die Dächer herab.
    Als er seine Wohnung in Haringay betrat, klingelte sein Telefon genau in dem Augenblick, als er den Fuß über die Schwelle setzte. Er blickte durch das Fenster auf die regennassen Bäume und Hausdächer. Auf der anderen Straßenseite erzeugte der Wind einen Unratwirbel um ein zerzaust aussehendes Eichhörnchen auf einem Dach. Das Eichhörnchen schüttelte den Kopf und sah ihn an.
    »Hallo?«, meldete er sich. »Ja, hier ist Billy Harrow.«
    »... murmelmurmel, wurde auch Zeit, dass Sie endlich zu Hause auftauchen. Also kommen Sie her, klar?«, sagte eine Frau am anderen Ende.
    »Moment, was?« Das Eichhörnchen starrte ihn immer noch an. Billy zeigte ihm den Mittelfinger und bildete mit dem Mund ein lautloses Verpiss dich. Er wandte sich vom Fenster ab und versuchte, aufmerksam zuzuhören. »Verzeihen Sie, wer ist dort?«, fragte er.
    »Können Sie verdammt noch mal nicht zuhören? Sie schwingen lieber das große Wort als zuzuhören, nicht wahr? Polizei,
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