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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake
Autoren: China Miéville
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Kumpel. Morgen. Verstanden?«
    »Polizei?«, fragte er. »Ich soll ins Museum kommen? Sie wollen ...«
    »Nein. Ins Revier. Waschen Sie sich die Ohren.« Stille. »Sind Sie noch da?«
    »... Hören Sie, mir gefällt nicht, wie Sie ...«
    »Ja, und mir gefällt nicht, wie Sie dummes Zeug reden, obwohl man Sie gebeten hat, den Mund zu halten.« Sie nannte ihm eine Adresse. Er runzelte die Stirn, während er sie auf einem Werbezettel notierte.
    »Wo? Das ist doch in Cricklewood. Weit weg vom Museum. Was soll ...? Warum haben sie von dort jemanden zum Museum geschickt ...?«
    »Wir sind fertig, Kumpel. Kommen Sie einfach hin. Morgen.« Sie legte auf, und er konnte in seinem kalten Zimmer nur noch auf den Telefonhörer starren. Die Fenster knarrten im Wind, als würden sie sich durchbiegen. Billy starrte auf das Telefon. Er ärgerte sich darüber, dass er sich verpflichtet fühlte, den letzten Befehl zu befolgen.

3
    Billy hatte Albträume. Er war nicht der Einzige. Er konnte unmöglich wissen, dass die ganze Stadt schweißgebadet in den Betten lag. Hunderte Menschen, die einander nicht kannten und sich nicht über ihre Symptome unterhielten, schliefen unruhig. Es lag nicht am Wetter.
    Es bedeutete eine halbe Weltreise, dieses Treffen, zu dem man ihn bestellt hatte und von dem er sich einredete, dass er es am liebsten ignoriert hätte. Er dachte daran, oder, erneut: Er redete sich ein, er dächte daran, seinen Vater anzurufen. Natürlich tat er es nicht. Er wollte Leons Nummer wählen, unterließ aber auch das. Dem, was er gesagt hatte, war nichts hinzuzufügen. Er wollte jemand anderem von dem Verschwinden erzählen, von diesem seltsamen Diebstahl. In Gedanken ging er eine Liste von Personen durch, die er anrufen könnte, doch die Energie, das zu tun, irgendetwas zu erzählen, verflüchtigte sich immer wieder aufs Neue.
    Das Eichhörnchen war noch da. Er war sicher, dass es dasselbe Tier war, das ihn über die Regenrinne hinweg beobachtete wie ein Soldat aus seinem Schützenloch. Billy ging nicht zur Arbeit. War sich noch nicht einmal sicher, ob überhaupt jemand an diesem Tag ins Museum käme, und rief nicht an, um das zu überprüfen. Er telefonierte mit niemandem.
    Schließlich - spät, als der Himmel sich grau färbte, und in einem Anflug von schlecht gespieltem Ungehorsam später, als es seine unfreundliche Gesprächspartnerin gewünscht hatte - verließ er sein Apartmenthaus am Rand eines Gewerbegebiets in der Nähe von Manor House und ging zur Haltestelle der 253er Buslinie. Er wanderte durch einen Wust von knisternden Imbisskartons, alten Zeitungen und Flugblättern, die zur Buße aufriefen und nach und nach vom Wind von einem vergessenen Stapel heruntergeweht wurden. Im Bus blickte er hinunter auf die niedrigen flachen Dächer von Wartehäuschen, die dem welken Laub einen würdigen Sockel boten.
    In Camden nahm er die U-Bahn, ging dann wieder zur Straße hinauf, um in einen anderen Bus umzusteigen. Mehrmals schaute er auf sein Mobiltelefon, erhielt jedoch nur eine einzige Textnachricht von Leon - HAST DU SCHON WIEDER EINEN SCHATZ VERLOREN?
    Die letzte Etappe führte Billy durch Gegenden Londons, die er nicht kannte, die ihm jedoch seltsam vertraut vorkamen mit ihren Kleinbetrieben und Imbissrestaurants und Lampenmasten, an denen verfrüht angebrachter oder seit dem letzten Jahr vergessener Weihnachtsschmuck flatterte wie zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Er trug einen Kopfhörer und lauschte einer musikalischen Mischung aus M.I.A. und einem jungen aufstrebenden RAP-Künstler. Billy fragte sich, warum er nicht darauf bestanden hatte, dass die Polizei ihn abholte, wenn sie ihre Zentrale in einem derart abgelegenen Viertel unterhielt.
    Als er seinen Weg zu Fuß fortsetzte, wurde Billy sogar trotz seiner Kopfhörer von Geräuschen aufgeschreckt. Zum ersten Mal hörte er das Glasklirren außerhalb der Räumlichkeiten des Darwin Centre oder glaubte zumindest, es zu hören. Das Licht an diesem frühen Abend wirkte falsch. Überall herrscht Durcheinander, dachte er. Als wäre die dicke Spindel des Architheutis -Kadavers in irgendetwas hineingesteckt worden, um es an Ort und Stelle zu fixieren. Billy kam sich vor wie ein loser Deckel, der im Wind klapperte.
    Das Revier befand sich in der Nähe der Hauptstraße und war größer, als er erwartet hatte. Es war eins dieser ausgesprochen hässlichen Londoner Gebäude aus senffarbenem Klinker, der, anstatt wie seine roten viktorianischen Verwandten in Würde zu verwittern,
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