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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm
Autoren: Kerstin Pflieger
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fallen.
    Die Kratzer auf seiner Brust schmerzten, bestätigten ihm aber, dass er noch lebte. Mit einem Anflug von Bedauern blickte er auf Hela hinab: Im Tod verwandelte sie sich wieder in eine unschuldig wirkende, junge Frau. Was für eine Verschwendung.
    Seelenruhig durchstöberte Silas die Regale. Hela hatte offensichtlich nicht schlecht gelebt. Er würde seine Vorräte reichlich aufstocken können. Von Draußen konnte er das unruhige Stampfen von Adele hören, was ihn veranlasste, seine Suche zu unterbrechen. Das Maultier wurde ungeduldig, wenn es Kampflaute hörte und Blut roch. Er ging in den Stall und kraulte die Stute zwischen den Ohren, während sie ein paar kümmerliche Karotten verspeiste.
    Aber er hatte noch etwas zu erledigen. Daher ging er noch einmal in die Hütte und hackte Helas Kopf ab. Dann befestigte er ihn so an der Weide, dass ihr langes Haar im Wind wehte und mit den Spitzen das Wasser berührte. Anschließend nahm er ihren Körper und hängte ihn an den Füßen auf. Es war ein mühseliges Unterfangen, aber er hatte in den umliegenden Dörfern gehört, dass die Menschen glaubten, eine Hexe wäre erst dann tot, wenn sie mit den Füßen nach oben hing. Ein gefährlicher Irrglaube, doch wenn es ihm einen guten Ruf als Hexenjäger, oder Hexenschlächter, wie manch einer ihn nannte, einbrachte, befolgte er selbst solch einfältige Wünsche. Morgen würde er nach Hirsdingen reiten und den Rest seiner Belohnung einfordern. Zuerst brauchte er allerdings Ruhe. Seufzend legte er sich in Helas Lager. Es war über eine Woche her, dass er in einem richtigen Bett geschlafen hatte. Ohne sich an den Blutflecken auf dem Boden und den Spritzern an den Wänden zu stören fiel er in einen tiefen Schlaf.
    Hirsdingen lag in einer Senke direkt an einem Bach. Der Ort war in so dichten Nebel gehüllt, dass nur noch die Dachgiebel herausragten. Das Blöken von Kühen, die sich anscheinend vergewissern wollten, dass sie nicht allein auf der Welt sind, hallte über die Wiesen.
    Silas saß auf Adeles Rücken und ließ die Stute mit losen Zügeln Weg und Tempo bestimmen. Oft wurde er gefragt, warum er sich mit einem hässlichen, sturen Maultier abgab, anstatt sich einen schönen, stattlichen Hengst zu kaufen. So wirklich wusste er auch keine Antwort darauf, es war einfach so passiert. Nachdem eine besonders hinterhältige Pythonissa den ihr hörigen Todesgeistern befohlen hatte, sein letztes Pferd zu zerreißen, war er in Tübingen auf den Markt gegangen, um sich ein neues Tier zu besorgen. Dort hatte er Adele entdeckt, und die Stute hatte es ihm gleich angetan. Der Händler war ihr stures Wesen und hässliches Aussehen leid gewesen, sodass sie am nächsten Tag beim Schlachter geendet wäre. Daher hatte sie Silas für wenige Münzen erstehen können. Er hatte es seither keinen Tag bereut. Sie war ausdauernd, ruhig, erstaunlich furchtlos und wich seitdem nicht mehr von seiner Seite.
    Als er in den Ort hineinritt, war er sich der Blicke der Menschen, die aus den Fenstern starrten, nur zu bewusst. Die Muskete lag quer über dem Sattel, den Säbel trug er auf dem Rücken, und in seinem Waffengurt steckte eine Vielzahl an Dolchen und Messern in allen möglichen Formen und Größen. Die lange Narbe, die von seiner Stirn zur Wange verlief und so sein Gesicht in zwei Teile zu teilen schien, erschreckte die meisten Menschen mehr als der harte, kalte Blick aus seinen stahlgrauen Augen.
    Vor der Hütte des Bürgermeisters hielt er an und stieg ab. Gernot würde nicht erfreut sein, ihn wiederzusehen. Er hatte den Mann in dem Glauben gelassen, dass er nicht wusste, wer er war und wo er wohnte. Der Hexenjäger hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seine Auftraggeber und deren Umfeld zuerst auszuspähen, bevor er sich mit ihnen traf. Obwohl er am späten Nachmittag mit Gernot im Wald verabredet war, beabsichtigte er nicht, hier so viel Zeit zu verschwenden. Zwei Tagesritte von Hirsdingen entfernt ging das Gerücht um, dass drei Schwestern ihr magisches Unwesen im Süden trieben und die Menschen bereit waren, jedem eine ansehnliche Belohnung zu zahlen, der sie von der Plage befreite. Silas wollte dort sein, bevor ihm jemand anderes zuvorkam oder die Bevölkerung töricht genug war, sich mit echten Hexen anzulegen.
    Nachdem er nur kurz angeklopft hatte, riss er auch schon die Tür auf. Bei dem Haus des Bürgermeisters handelte es sich um ein kleines, zweistöckiges Steingebäude mit Strohdach und Holzdecke. Im unteren Stockwerk gab es drei
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