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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm
Autoren: Kerstin Pflieger
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Handgriff lösen konnte, und zog den leicht gekrümmten Säbel mit den spitz zulaufenden Parierstangen. Er bevorzugte diese Waffe vor jedem Degen. Falls man eine Hexe erwischte, musste man sie so schwer wie möglich verwunden, da diese Biester die kleineren, wenn auch tiefen Stichwunden eines Degens ignorierten. Silas zog aus seinem Stiefel einen Dolch und hielt ihn in der linken Hand, dann trat er in den Schatten der sich leicht im Wind wiegenden Baumkronen. Adele folgte ihm auf einen unmerklichen Wink hin. So störrisch sie auch war, sie wusste, wann sie zu gehorchen hatte.
    Der Weg ging nach wenigen Schritten in einen schmalen Pfad über, der sich auf den Bach zuwand, um eng an ihn geschmiegt im Dunkeln zwischen den Bäumen zu verschwinden. Ein Käuzchen rief einsam in der Nacht. Der Nebel verdichtete sich und zog in Schwaden in den Wald hinein, dessen Baumstämme fahlen Säulen gleich dicht an dicht standen. Das Mondlicht fiel wie Perlenschnüre durch das herbstliche Blätterdach und tauchte alles in ein düsteres Zwielicht. Silas packte seine Klingen fester. Ein Rascheln war in der Nähe zu hören. Er versuchte in der Finsternis etwas auszumachen, konnte aber nicht mehr als einen grauen Schatten, der geduckt vorbeihuschte, erkennen. Die Suche in der Dunkelheit stellte sich als keine gute Idee heraus. Der Hexenjäger wollte schon umdrehen, um die Suche bei Tageslicht fortzusetzen, da lichtete sich der Wald, und ein kleiner See, der seltsamerweise frei vom Nebel im Sternenglanz schimmerte, wurde sichtbar. Am gegenüberliegenden Ufer stand eine kleine Holzhütte, dicht an eine Trauerweide geschmiegt, deren lange Äste das Wasser berührten und die Hütte unter einem Vorhang aus Blattwerk verbargen. Aus einem schmalen Fenster drang gelbliches Licht und schien einsame Wanderer einzuladen, näher zu treten.
    Silas steckte seine Waffen weg, nahm Adeles Zügel in die Hand und schritt, äußerlich gelassen, auf die Hütte zu. Ob es eine wahre Hexe war oder nicht, es war nie klug, seine Absichten zu früh zu verraten. Zudem schmerzte die Kälte in seinen Knochen. Vor zehn Jahren hätte er die Feuchtigkeit einfach abgeschüttelt, doch er musste sich eingestehen, dass auch Männer wie er nicht jünger wurden. Und an einem anstrengenden Kampf war er heute Nacht nicht mehr interessiert.
    Adeles Hufschläge klangen dumpf auf dem angefrorenen Grasboden, der den See umgab. Langsam näherten sie sich der Hütte, hinter der sich ein kleiner Schuppen und ein sorgsam gepflegter Garten befanden, in dem Kräuter und Samen abgedeckt überwinterten.
    Die Bewohnerin dieses einsamen Fleckchens schien ihre Ankunft bemerkt zu haben und spähte aus dem Fenster.
    Silas befahl seiner Stute zu warten, dann ging er zur Tür und klopfte.
    »Was wollt Ihr?« Eine hohe Stimme drang gedämpft durch das Holz.
    »Ich bin ein Reisender. Mein Maultier lahmt, sodass ich den nächsten Ort nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit erreichen konnte. Ein freundlicher Wanderer empfahl mir, bei Euch um Unterschlupf und eine warme Mahlzeit zu bitten.« Silas klimperte mit dem Beutel an seinem Gürtel. »Ich werde Euch dafür natürlich entlohnen.«
    Die Tür öffnete sich einen Spalt. »Zeigt mir die Münzen.« Eine schmale, feingliedrige Hand schob sich hinaus.
    Der Hexenjäger drückte einige Kreuzer hinein, woraufhin sich der Türspalt weitete und er einer kleinen, zierlichen, aber wohlgerundeten Frau gegenüberstand. Silas konnte nicht anders, als die üppigen Rundungen ihrer Brüste, die sich unter dem leichten Leinenmieder abzeichneten, zu bewundern. Dann wanderte sein Blick zu ihrem Gesicht und blieb an den vollen, leicht geschwungenen Lippen hängen. Wie sie sich wohl anfühlen mochten? Weich und nachgiebig oder prall und fest? Ihrer abwehrenden Haltung und der Muskete, die sie quer vor der Brust hielt, schenkte er keine Beachtung. Trotzdem musste er sich vorsehen. Wieso sollte ein hübsches Ding wie sie alleine im Wald hausen, wenn sie an der Seite eines reichen Kaufmanns oder Gutsherren ihr Auskommen finden könnte? Es war die erste und wichtigste Regel eines Hexenjägers: Hüte dich vor schönen Frauen. Silas hatte diese Lektion viel zu oft schmerzhaft lernen müssen, und sie zu beachten, fiel ihm noch immer am schwersten.
    »Ihr könnt im Schuppen übernachten. In einer halben Stunde gibt es Essen. Eintopf.« Ihre braunen Augen schimmerten golden.
    Das war nicht gut.
    Silas deutete mit dem Kopf auf die Muskete. »Die werdet Ihr nicht brauchen.«
    Ihre
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