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Der Kraehenturm

Der Kraehenturm

Titel: Der Kraehenturm
Autoren: Kerstin Pflieger
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Lippen verzogen sich zu einem belustigten Lächeln. »Das werde ich später entscheiden. Wollt Ihr Euer Maultier nicht absatteln? Ihr könnt es ebenfalls im Schuppen unterstellen.«
    Silas nickte. Er fühlte sich unbehaglich, als er ihr den Rücken zudrehte. Aber noch durfte er sich nicht verraten. Erst musste er wissen, was sie war. Mensch oder Hexe?
    Er führte Adele zum Schuppen. Als er die Tür öffnete, schlug ihm der beißende Geruch von Hühnerkot entgegen, doch außer ein paar Gartengeräten und dem vorbeihuschenden Schatten einer Ratte lag der Raum leer und erstaunlich trocken vor ihm. Er sattelte seine Stute ab und striegelte ihr staubiges, dichtes Fell. Anschließend massierte er die Ohren des Maultiers. »Es wird vermutlich laut werden, aber du kennst das ja, meine Kleine«, murmelte er, sein Kopf an ihre breite Stirn gelehnt.
    Später ging er mit gemischten Gefühlen zurück in die Hütte. Die vermeintliche Hexe hatte bereits den Tisch gedeckt. Der schlichte Raum wurde nur durch das Feuer in der Kochstelle erhellt. An den Wänden befanden sich Regale mit Kochgeschirr und Vorräten. Getrocknete Kräuter hingen von der Decke und verbreiteten einen würzigen Duft, der es unmöglich machte, den Geruch des Todes wahrzunehmen, der womöglich unter der Oberfläche lauerte. Ein grob gezimmerter Tisch stand in der Mitte des Zimmers; in einer Ecke lud eine einfache Schlafstatt, die aus einem dicken Stapel Ziegenfell bestand, zum Verweilen ein. Insgesamt ein beunruhigend unverdächtiges Bild.
    »Verratet Ihr mir Euren Namen, Herrin?«
    Die Frau versicherte sich mit einem schnellen Blick, dass die Muskete noch immer neben ihr an der Wand lehnte.
    »Hela.« Sie rührte bedächtig in dem Topf. »Es ist viele Monde her, dass mich jemand mit Herrin ansprach.«
    »Ihr seid jung, so lange kann es nicht her sein.«
    Sie lächelte tiefgründig.
    »Ich bin Silas-Vivelin Ismalis.«
    »Was führt Euch in diese Gegend?«
    »Ich bin Jäger und auf dem Weg in den Schwarzwald, um dort meine Dienste anzubieten. In meiner Heimat sind nahezu alle Wildtiere den harten Wintern zum Opfer gefallen.«
    Hela holte mit ihrem hölzernen Kochlöffel etwas von dem Eintopf aus dem Kessel und pustete, um es abzukühlen. Der köstliche Geruch von Karotten und Äpfeln stieg Silas in die Nase.
    »Ihr tragt ungewöhnliche Waffen für einen Waidmann.«
    »Auf einer solch weiten Reise muss man sich zu verteidigen wissen.«
    »Hier benötigt Ihr sie nicht.« Sie kostete von dem Eintopf und nickte zufrieden.
    Silas verstand die unausgesprochene Aufforderung, war sich aber zugleich der Gefahr bewusst, in die er sich begab, wenn er seine Waffen aus der Hand legte. Diese goldfarbenen Augen gefielen ihm immer weniger. Dennoch nahm er den Waffengurt ab und stellte seinen Säbel in die Ecke.
    Sie lächelte ihn an, legte die Muskete in ein Regal und füllte dann zwei Schalen mit Eintopf.
    Silas wartete, bis sie den ersten Bissen genommen hatte, doch wirklich sicher fühlte er sich auch dann nicht. Viele Hexen töteten mit Gift, leider waren sie oft gegen ihre eigenen Tinkturen immun. Bildete er es sich ein, oder belauerte ihn die goldäugige Schönheit und amüsierte sich über seine Sorgen? »Wie kommt es, dass so eine hübsche Frau alleine hier draußen lebt?«
    »Mein Gemahl war ein Jägersmann wie Ihr. Dann wurde er von einem morschen Baum erschlagen.« Eine Träne kullerte über ihre Wange.
    Verdammt, nicht hinsehen! Doch es war zu spät. Er war in die Falle getappt. Aus dem leichten Anflug von Mitgefühl, das Helas Tränen bei ihm hervorrief, wurde der unbezwingbare Drang, sie zu beschützen. Zudem verspürte er ein unbändiges Verlangen nach ihrem Körper. Hela war eine Hagzissa, für einen Mann die gefährlichste Hexenart! Sobald jemand Mitgefühl, Liebe oder eine andere positive Empfindung für sie verspürte, verstärkte die Hexe es um ein Vielfaches, sodass man in ihren Bann geriet. Einzig die goldenen Augen vermochten einen zu warnen. Zumindest wenn man nicht so leichtsinnig und überheblich war wie er, verfluchte sich der Hexenjäger. Seine Erfahrung hatte ihn zwar vor dem Hexenbann nicht schützen können, aber zumindest ein Teil seines Verstandes war unversehrt geblieben und vermochte seine Handlungen zu analysieren. Ich hätte sie gleich beim Anblick ihrer goldfarbenen Augen töten sollen.
    »Wärst du so freundlich, den Tisch abzuräumen?«
    Silas sprang sofort auf, nichts wünschte er sich mehr, als ihr zu gefallen. Außer sie zu töten
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