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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet
Autoren: Hannes Stein
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Thomas hieß, ein so schöner wie unauffälliger Name, kannte nämlich wichtige Leute. Überhaupt bewegte sich Thomas in Wien wie eine muntere Flussbarbe in der Donau. Thomas überragte ihn um Haupteslänge; Thomas war ein wenig breit in den Hüften und gemütlich. Goldenes Wallehaar fiel ihm in Locken über die Schultern. Im Übrigen war Thomas ein herzensguter Mensch; ganz ohne Ironie und ohne falsches Pathos gesprochen: von Herzen gut. Und wie war Thomas an diese Einladung gelangt? Er hatte einen Onkel, der bei einem berühmten Psychoanalytiker in Behandlung war; und jener Psychoanalytiker frequentierte jetzt schon seit Jahren die Matineen im Salon der Barbara Gottlieb. Der Psychoanalytiker hatte irgendwann kurzerhand den Onkel mitgenommen, der Onkel wiederum hatte seinenfür kulturelle Dinge sehr aufgeschlossenen Neffen mitgeschleppt, und Frau Gottlieb hatte zumindest nicht gegen diesen sanften Überfall protestiert.
    Als Thomas ihm vor ein paar Tagen erzählt hatte, er habe zusammen mit seinem Onkel den intellektuellen Salon besucht, der in der Stadt das höchste Ansehen genoss, und als er ihn dann in seiner niederösterreichischen Mundart fragte: »Kummst mit?«, da hatte er spontan geantwortet: »Wie kann man denn da Nein sagen?« Aber wie, um des lieben Himmels willen, hatte er nun wiederum das sagen können? Diese Frage rumorte in seinem Hinterstübchen, seit er heute Morgen seine käsweißen Beine aus dem Bett geschwungen hatte. Die Gottlieb gehörte zur feinen Gesellschaft, er hatte ihr Foto in Klatschmagazinen gesehen; er aber war ein kleiner, ganz unbedeutender Student, der etwas ungeheuer Brotloses studierte: Kunstgeschichte – ein Fremdling war er, ein krummer Ausländer, der in einer dumpfen Bude in Meidling hauste. Und was sollte er überhaupt anziehen? Er besaß nur ein gutes Jackett, aber das hatte leider Saucenflecken am Ärmel; keine seiner Krawatten taugte etwas.
    Er hatte nichts in diesem Salon verloren, wo er keine Menschenseele kannte; wahrscheinlich würde er nach Art der Schüchternen über Stunden hinweg beharrlich-trotzig schweigen. Außerdem sollte es an diesem Sonntagvormittag um Lyrik gehen. Er verstand nichts von Lyrik. Und jetzt ließ der Augenblick sich nicht mehr länger wegschieben, auf den sich seine angesammelte Furcht konzentrierte wie auf den perspektivischen Fluchtpunkt in einem Gemälde: der Herr mit dem Taschentuch, sein herzensguter Freund Thomas und er selbst standen vor der Wohnungstür, und der Zeigefinger seines Freundes bewegte sich unerbittlich auf den perlmutternen Klingelknopf zu,und dann schellte es hinten in der Wohnung, und seine Beine, diese erbärmlichen Feiglinge, wollten unter ihm davon- und zurück zum Aufzug laufen – aber der war ja längst wieder in die Tiefe der unteren Stockwerke versunken –, und nun war es zu spät, denn die hohe Wohnungstür tat sich auf, und die Gastgeberin stand im Türrahmen und lächelte.
    Zunächst einmal begrüßte Barbara Gottlieb den melancholischen Herrn: »Exzellenz«, sagte sie, während er sich zum Kuss über ihre Hand beugte. Mit einem Mal wurde ihm klar, in welche Schublade seines Gedächtnisses er dieses freundlich-dunkle Mondgesicht sortieren durfte: aber selbstverständlich doch, es handelte sich um den Gesandten des Osmanischen Reiches – hieß er nicht Kevork Bagradian? Seine eindringlichen Armenieraugen waren oft im Fernsehen zu bewundern, er saß in verschiedenen Gesprächsrunden unter lauter besorgt dreinblickenden Fachleuten, wenn es darum ging, die mitunter etwas erratische Politik der Hohen Pforte zu erläutern. (Und wer hätte sich wohl besser zu diesem Berufe geeignet als ein Angehöriger jenes uraltehrwürdigen christlichen Volkes, das seit bald dreitausend Jahren in Anatolien siedelte?) Als Nächstes war der goldene Jüngling an der Reihe, von Barbara Gottlieb in den erlesenen Kreis der Kulturmenschen aufgenommen zu werden: »Grüß dich, Thomas«, sagte sie; um ihn auf die Wangen zu küssen, musste sie sich ein wenig auf die Zehenspitzen stellen. »Wo ist denn dein Onkel geblieben?« Der habe eines geschäftlichen Projektes wegen verreisen müssen, meldete Thomas, so etwas komme bei Ingenieuren ja leider häufig vor; quasi zum Ausgleich habe er aber einen Studienfreund mitgebracht. Und nun wandte die Gastgeberin sich mit ihrem ganzen Wesen ihm zu.
    Barbara Gottlieb war eine stadtbekannte Schönheit: Mittelmeeraugen, Olivenhaut, dunkle Locken, volle Lippen. Sie hätte vielleicht Italienerin – aber
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