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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet
Autoren: Hannes Stein
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aus dem Süden, nicht aus dem Norden des Landes – oder eher noch Portugiesin sein können; in Wahrheit stammte sie aus einem sefardischen Geschlecht
Hinweis
, das schon seit Jahrhunderten in Wien lebte (ihr Geburtsname war d’Acosta gewesen). Barbara Gottlieb gehörte zu jener Art von Frauen, deren Schönheit nicht matt wird, sondern mit den Jahren eigentlich immer weiter aufblüht; als junge Studentin war sie nur hübsch gewesen, jetzt – im reiferen Alter von 36, nach sieben Ehejahren und nachdem sie zwei kleinen Töchtern das Leben geschenkt hatte – war sie unwiderstehlich. Allerdings führt der Begriff der Schönheit schnell in die Irre und auf gedankliche Abwege. Denn im Gehirn des Schüchternen verbindet dieses Attribut sich beinahe immer mit der Aura der Unnahbarkeit. Schön nennt der Schüchterne also Frauen, die als marmorkühle Statuen in einem Museum für erotische Kunst herumstehen, und auf jedem Sockel warnt eine Tafel in unsichtbarer Frakturschrift: Anfassen verboten. Welcher Reiz könnte davon je ausgehen? Aber Barbara Gottlieb war eben alles andere als reizlos. Belassen wir es für den Moment bei der züchtigen Andeutung, dass sie ein rotweißes Dirndl mit gewagtem Ausschnitt trug – und dieses Dirndl stand ihr ausgezeichnet. Gegen eine kalte Schönheit hätte unser Held sich mit einem Panzer aus Zynismus wappnen können; auf eine arrogante Gesellschaftsdame wäre er mit dem Speer der heimlichen Verachtung losgegangen. Aber den frechen Grübchen in ihren Wangen war er nun wehrlos ausgeliefert. Gegen die Freundlichkeit, die aus der Tiefe ihrer Mittelmeeraugen heraufleuchtete, war kein bitteres Kraut gewachsen. Nichts schirmte seine empfindliche Jungmännerseele vordem Strahlen ihres Lächelns ab. Und dann roch sie auch noch so gut!
    »Grüß Gott, Studienfreund«, sagte Barbara Gottlieb. »Haben Sie denn einen Namen?«
    »Repin«, stieß er hervor. »Von Repin.« Und dann, nachdem er heftig geschluckt hatte: »Alexej von Repin.«
    »Herzlich willkommen«, sagte die berühmte Gastgeberin. »Wie wunderbar, dass Sie da sind.« Dabei barg sie seine schweißnassen Finger zwischen ihren Mädchenfrauenhänden (Händen, die trotz ihrer Größe so grazil und schmal wirkten, als gehörten sie zu einer viel jüngeren Person, aber robust und erwachsen zugreifen konnten), es war ein betörender Augenblick. Und dann überschritt Alexej die Schwelle und fand sich unter lauter wildfremden Menschen wieder. Mehr Herren als Damen fielen ihm auf, mehr gesetzte Leute als junge, viele Anzüge in gedeckten Farben. Alexej kannte in dieser Menge nur seinen Freund Thomas; später erblickte er in einer Ecke einen Philosophen mit Stoppelbart, den man manchmal spätnachts in einer jener Fernsehsendungen bewundern konnte, wie sie für die Donaumonarchie mittlerweile ziemlich typisch waren: Da saßen Männer und Frauen auf durchgewetzten Sofas und redeten bis zum ersten Hahnenschrei allerlei Absonderliches, wobei sie Unmengen von Rotwein und Salzstangen konsumierten. Der Philosoph war dafür bekannt, dass er mit französischem Näseln immer wieder Thesen in die Kamera schleuderte, die ebenso ungekämmt waren wie seine graue Mähne. Übrigens war Alexej ihm schon in den verwinkelten Korridoren der Universität über den Weg gelaufen. Jetzt allerdings blickte der Philosoph (sein Name war André Malek) so finster, als wolle er um keinen Preis der Welt angesprochen werden.
    Die Gäste der Barbara Gottlieb, etwa vierzig an der Zahl, standen unterdessen in dem geräumigen Salonund nippten am Frühstückschampagner. Ein stupsnasiges böhmisches Mädchen, das eindeutig von der Prager Kleinseite stammte, bahnte sich einen Weg zwischen den Gästen hindurch und erkundigte sich nett, ob denn auch Alexej von Repin an einem »Klaßerl Ssekt« interessiert sei.
    Die Wohnung des Ehepaars Gottlieb war ohne Zweifel spektakulär. Es handelte sich um eine große Dachgeschosswohnung, aus der die Handwerker eine Zwischendecke herausgebrochen hatten; so waren überhohe Wände und eine gewaltige Fensterfront entstanden. Die zwei Seitenwände des Salons trugen Regale bis unter die schräge Decke; Alexej von Repin schätzte, dass diese Privatbibliothek wohl an die zehntausend Bände umfassen musste. Aber nicht dies war es, was ihn bis zur tiefen inneren Erschütterung beeindruckte; auch nicht der Blick auf den einzelnen Turm des Stephansdomes, obwohl er ihn noch nie aus diesem Blickwinkel gesehen hatte; auch nicht das Riesenfernrohr mit dem Stativ,
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