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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet
Autoren: Hannes Stein
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hellbraune Augen.
    Viele fragten sich, wie es einem Mann wie ihm wohl gelungen sein mochte, Barbaras Herz zu erobern. Als Antwort auf diese Frage hatte er seinem Spiegelbild kurz die Zungenspitze gezeigt, das ihm die kleine Ungezogenheitumgehend heimzahlte; anschließend hatte er allein in der Küche gefrühstückt (tiefschwarzen ungesüßten Kaffee, in den er ein trockenes Kipferl tauchte). Der Sekundenzeiger der alten Uhr auf der Bauernkredenz, in der sie die milchigen Teller verwahrten, hatte die Zeit mit »Tack« und »Tack« und wieder »Tack« in dünne Scheiben zersäbelt. Eine kleine Viertelstunde später klingelte es schon an der Tür, sein Taxi wartete unten. Seine Frau war gähnend und im Morgenmantel an der Tür erschienen; sie hatte ihn zum Abschied sanft in den Arm genommen, er hatte ihr ins Ohr geraunt, sie solle brav sein und die Kinder von ihm grüßen.
    Dudu Gottliebs Taxifahrer war ein Rumäne aus Siebenbürgen, der einen gewaltigen Schnurrbart unter der Nase trug; noch gewaltiger war das R, das er gemütlich vor sich her rollte. Ob ihm Wien denn gefalle, wollte Dudu wissen, ob es hier besser sei als in seiner Heimatstadt. »Temeschoar – nicht schlecht. Bukarest – noch besser. Aber Wien ist grrrrreeeßte Stadt von Welt«, urteilte der Taxifahrer aus Siebenbürgen. Und nachdem er seinen Schmerbauch hinter dem Lenkrad verstaut hatte, fügte er im Brustton der Naivität hinzu: »Wien ist centru von Kosmos!« Als sie langsam am Prater vorbeifuhren, erkundigte der Rumäne sich, wohin die Reise denn gehe; ach so, auf den Mond, da schau her. »Geschäft oder Vergniegen?«, wollte er wissen – und Dudu, den die jubelnde Vorfreude längst unter den Haarwurzeln kitzelte, antwortete schnell und leise, es handle sich um eine Geschäftsreise, was im Grunde ja auch stimmte. »Ich spare für Mondflug«, informierte ihn sein Chauffeur. »Aber nie genug Geld auf Bank, la naiba! « Anschließend war er – während sie auf die Autobahn einbogen, die nach Transleithanien
Hinweis
hinüberführte – in das allgemeine Taxifahrerlamento ausgebrochen: hohe Steuern, korrupte Politiker, blöde Erzherzöge usw., und er hieltsein Lamento ungebremst durch, bis sie bei Schwechat die Abfahrt zum Flughafen nahmen. Eigentlich war Dudu der Mann am Ende ein wenig auf die Nerven gegangen; am liebsten hätte er das Trinkgeld gespart, aber es gab, weiß Gott, schon genug Antisemitismus, und er wollte nicht – wie seine Großmutter seligen Andenkens gesagt hätte – extra Risches
Hinweis
machen. Also streckte Dudu dem Rumänen mit mildem Seufzen ein goldenes Hundertkronenstück hin: »Vierzig, bitte«, sagte er, und der Taxifahrer gab ihm drei rote Zwanzigerscheine heraus.
    Vor dem Flughafengebäude stand er dann allein mit seinen zwei Rollkoffern in der Hand, ein Herr mittleren Alters im teuren Anzug mit Samtkappe. Um Dudu herum brandete ein wildes Sprachengewirr: Er hörte das Ukrainische der Ruthenen, jiddische Brocken flogen an sein Ohr, eine tschechische Familie bahnte sich lautstark ihren Weg, sogar Englisch war hier und da zu vernehmen. Dudu Gottlieb aber steuerte mit seinem schweren Gepäck quer durch die geräumige Abflughalle schnurstracks dem Schild entgegen, das den Weg zum Mondflieger wies. Die erste Formalität des Tages bestand darin, dass er sich mitsamt seinen Koffern wiegen ließ. Dudu liebte diese Prozedur nicht, leider war sie unumgänglich: Touristen zum Mond lösen alle denselben Grundpreis von circa 6000 Kronen – eine erschwingliche Summe auch für Angehörige der Mittelschicht. Auf diesen Grundpreis ist dann aber jeweils ein Aufschlag zu entrichten, der sich nach dem Körpergewicht und der Schwere des mitgebrachten Gepäcks bemisst; denn jedes Kilo, das von der Erde zum Mond geschossen wird, macht zusätzlichen Raketentreibstoff erforderlich, und dafür haben die Passagiere aufzukommen.
    Die finanzielle Seite der Angelegenheit bekümmerte Dudu wenig, schließlich wurden die Kosten vom Hofegetragen. Allerdings empfand er es als unangenehm, beinahe schon entwürdigend, dass er vor aller Augen mitsamt seinen Koffern auf einer riesigen Waage Aufstellung nehmen musste. Wenn man ihm den Ausdruck aushändigte, auf dem die Gewichtsdifferenz exakt in Krone und Heller umgerechnet stand, wurmte ihn das jedes Mal tief in den Eingeweiden. Er liebte Mehlspeisen nun einmal, neigte daher zur Dicklichkeit, und diese Rechnung kam ihm wie eine öffentliche Rüge vor. Zu begleichen war die Differenz an Bord (die
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