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Der König und die Totenleserin3

Der König und die Totenleserin3

Titel: Der König und die Totenleserin3
Autoren: franklin
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meisten: Wände aus verputztem Flechtwerk, Reetdach, Lehmboden, eine Leiter zum Schlafraum unterm Dach, Hocker aus fest gebundenen Binsenbüscheln. Nichts aus Stein – es gab keine Steine in den Sümpfen. Keine Tiere außer diesem widerwärtigen Hund, den sie Wächter nannte. Die einzigen Gegenstände aus Stahl im Haus waren ihre Seziermesser.
    Prior Geoffrey konnte das Geplapper von Adelias Tochter hören, ihrer unehelichen Tochter, das aus der Nachbarhütte herüberklang, wo Gyltha, die Kinderfrau des Mädchens, in Sünde mit dem arabischen Eunuchen zusammenlebte, Adelias Beschützer aus Kindertagen, den sie aus Salerno mitgebracht hatte.
    Prior Geoffrey versuchte, den Schleier des Vergessens über seine Erinnerung daran zu ziehen, wie Adelia ihm erklärt hatte, dass ein kastrierter Mann zwar unfähig war, Kinder zu zeugen, aber nach wie vor eine Erektion haben konnte.
    Verzeih ihre Offenheit, oh Herr; sie weiß es nicht besser.
    Draußen bot sich eine Aussicht dar, um die Könige sie beneiden würden. Ein weich geschwungenes Panorama mit Erlen und Weiden, die sich klar im Wasser der Cam spiegelten. In der Ferne waren die Burgtürme von Cambridge zu sehen und im Vordergrund ein kleiner Steg, an dem jetzt seine Barkasse vertäut lag und von dem ein Pfad zu Adelias stets offener Tür führte.
    Dieser Pfad war natürlich das Problem. Die Füße der Kranken und Gebrechlichen aus Cambridge, die zu ihr kamen, um sich helfen zu lassen, hatten ihn breit ausgetreten und vertieft.
    Die Ärzte der Stadt – Prior Geoffrey zog einen weiteren Schleier über Adelias unverblümte Ausdrucksweise, wenn es um diese Scharlatane ging – hatten zu viele Patienten an »Doktor Mansur« verloren und sich beim Archidiakon über diese Abscheulichkeit beschwert –, und das, obwohl es all diesen Patienten besser ging.
    Jeden Moment konnte der Bote diesen Pfad heraufkommen und einen halb zerstückelten Säugling vorfinden. Er würde Mansur und Adelia vor Gericht bringen, wo die Frau verurteilt und sofort der weltlichen Obrigkeit übergeben werden würde, zum Tode durch den Strang. Niemand würde sie retten können.
    Doch Prior Geoffrey kannte Adelia. Sie setzte sich für dieses tote Kind ein, das irgendwer gefunden und zu ihr gebracht hatte. Höchstwahrscheinlich hatte der eigene Vater das ungewollte Neugeborene in den Fluss geworfen, denn das war es für einen armen Mann, der ohnehin schon zu viele Mäuler zu stopfen hatte. Für Adelia aber stellte sein Tod eine Gräueltat dar, die nicht einfach übergangen werden durfte.
    »Ein großer Frevel, ganz recht«, sagte er zu ihr, »aber daran ist jetzt nichts mehr zu ändern.«
    Adelia nähte den Obduktionsschnitt zu. Sie hielt inne und überlegte. »Wir könnten etwas tun«, sagte sie. »Ich hab mich schon oft gefragt, ob ich anfangen sollte, den Frauen beizubringen, wie sie nötigenfalls eine Empfängnis verhindern können. Es gibt da einige zuverlässige Möglichkeiten.«
    »Ich will nichts davon hören«, sagte Prior Geoffrey hastig.
    Das wäre das Ende. Die Vorstellung, dass die eheliche Umarmung nicht der Weitergabe von Leben, sondern sündigem Verlangen dienen könnte, würde die Richter veranlassen, diese Frau auf der Stelle zu vernichten. Selbst er, Geoffrey, der er sie doch von Herzen liebte, war bestürzt über diese Kühnheit. Was fiel denen in Salerno eigentlich ein?
    Er hob den Saum seines bestickten Gewandes an, ließ sie allein und eilte nach nebenan. Der Hund trabte neugierig hinterdrein.
    Die kleine Allie saß auf der Wiese und flocht unter Gylthas achtsamen Augen einen Vogelkäfig. Beide trugen Binsenhüte, um ihre Augen vor der Sonne zu schützen.
    Mansur kniete auf seiner Gebetsmatte, das Gesicht nach Osten gewandt, und sein Oberkörper hob und senkte sich. Gütiger Gott, es war Mittag, natürlich, Zeit für das muselmanische Dhuhr-Gebet, wie der Prior gelernt hatte. Wie viele Häresien sollte er heute denn noch erleben?
    Nun, Gyltha würde ihm helfen, diese liebe, vernünftige Frau.
    Er stammelte seine Erklärung. »Und deshalb müssen die beiden weg, Gyltha. Sofort.«
    »Wo sollen wir denn hin?«
    Die unmittelbare Reaktion der bodenständigen Gyltha – dass auch sie mit ihnen gehen würde – war ein Trost. Der Prior sagte ruhiger: »Lady Wolvercote ist im Priorat …«
    »Emma? Die kleine Emma ist in Cambridge?«
    »Durch Gottes Gnade kam sie just gestern Abend an und fragte, wo sie euch alle finden könne. Sie bereist ihre Ländereien und wünscht Adelias
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