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Der König und die Totenleserin3

Der König und die Totenleserin3

Titel: Der König und die Totenleserin3
Autoren: franklin
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weiter.
    Nun gut, sollte er ruhen. Caradoc schrieb weiter. Er hatte den Riss im Friedhof noch nicht erwähnt. Ja, von dem musste er auf jeden Fall berichten. Denn als er von den schwankenden Gebäuden weglief, hatte er gesehen, wie sich zwischen den beiden Pyramiden, die seit Anbeginn der Zeiten dort standen, ein tiefer Spalt auf dem Gräberfeld der Abtei auftat.
Als ob,
so schrieb er,
das Ende der Welt gekommen sei und der Allmächtige die Posaune des Jüngsten Gerichts geblasen habe, auf dass die Toten sich aus ihren Gräbern erheben.
    »Das Buch«, schrie der heilige Dunstan. »Caradoc, willst du die Chronik unserer Zeit etwa Plünderern überlassen?«
    Nein, das durfte er nicht. Also legte Bruder Caradoc seinen Griffel beiseite und begab sich zur Tür der Kapelle, obwohl sein Schüttelfrost immer schlimmer wurde und der Schmerz in der Brust sich anfühlte, als umklammere ihn ein eiserner Reif. Dann taumelte er über den gewundenen Terrassenweg vom Gipfel hinunter. Er wusste jetzt, dass für ihn die letzte Posaune erklungen war und dass er, selbst wenn er das Buch nicht retten konnte, doch bei dem Versuch sterben oder seine Seele wenigstens in der geliebten Abtei aushauchen musste, die sein Zuhause gewesen war.
    Der schwankende Abstieg kostete ihn wertvollen Atem, während er über Erdhügel stolperte und mit seinem Keuchen Schafe verschreckte, doch die Schwerkraft war auf seiner Seite und trieb ihn hinunter bis zum Eisentor, das nach einer leichten Berührung seiner Hand unter dem Spitzbogen aufschwang. Er torkelte hindurch und weiter bis zum Gemüsegarten, wo er zwischen Bruder Peters Kopfsalaten völlig entkräftet zusammenbrach.
    Jetzt konnte er den Hang hinunter auf die hoch aufragende Kirche blicken. Sie war beschädigt. Der alte Glockenturm war eingestürzt, und da, wo einige Ecken abgebrochen waren, klafften Löcher. Das Wasser, das das Abteigelände umspülte, war nicht bis dorthin gelangt, daher mussten das »Große Buch« und die vielen Heiligenreliquien unversehrt sein. Dahinter jedoch lag das Dorf vor den Abteimauern still und rauchlos da, und seine Weide war mit schmutzig weißen Brocken übersät: Schafkadavern.
    Caradoc dachte voller Trauer an die ertrunkenen Menschen und Tiere, an die zerstörten Heuschober und Getreidefelder – für die Überlebenden würde es ein harter Sommer werden und ein noch härterer Winter.
    Doch das heilige Glastonbury stand noch. Schön, wunderschön war es, kristallklar spiegelte es sich unter dem hellen Mond in den Resten des Flutwassers, eine Insel aus Glas.
Die
Insel aus Glas.
    Caradoc sog Atemluft ein, die seine Lunge nicht mehr füllen konnte, und richtete die Augen auf den Friedhof, der auf ihn wartete.
    Er nahm eine schemenhafte Bewegung wahr. Drei Kapuzengestalten zerrten an Seilen, mit denen sie irgendetwas durch das Haupttor der Abtei zogen. Sie waren so weit entfernt, dass er keinen Laut hören konnte, daher wirkten sie wie Geister. Und vielleicht, dachte Caradoc, sind sie das ja – denn welcher Mensch konnte inmitten all dieser Zerstörung im Freien zugange sein, wo doch selbst Eulen und Nachtigallen verstummt waren.
    Er konnte nicht erkennen, was sie da hinter sich herzogen – es hatte die Form eines großen Stammes oder schmalen Bootes. Dann aber, als die Gestalten zu dem Spalt kamen, den das Beben in der Erde aufgerissen hatte, sah er, was es war: ein Sarg.
    Sie senkten ihn in den Spalt hinunter. Jetzt knieten sie, und aus der Kehle einer der Gestalten brach ein gewaltiger Schrei hervor: »Arthur, Arthur. Möge Gott deiner Seele und der meinen gnädig sein!«
    Der sterbende Mönch stöhnte auf. »Dann ist König Arthur also tot?«
    Denn obwohl Caradoc nun seit dreißig Jahren als Mönch in Glastonbury lebte, hatte er geglaubt, dass König Arthur sich nur ausruhte und wartete, bis er gerufen wurde, um erneut die Horden des Teufels zu bekämpfen. Und er ruhte hier.
    Avalon war Glastonbury, Glastonbury war Avalon, die wahre Insel aus Glas, und Arthur schlief irgendwo zwischen diesen Hügeln mit ihren verborgenen Höhlen und kristallklaren Quellen. Arthur der Tapfere, Arthur der Waliser, der den übers Meer gekommenen Eindringlingen widerstanden und die Flamme des Christentums in Britanniens dunkelsten Zeiten am Leben erhalten hatte.
    Es war Caradocs große Freude gewesen, Gott an dem Ort dienen zu können, zu dem Arthur nach der letzten großen Schlacht gebracht worden war, um von seinen Wunden geheilt zu werden.
    War er also tot? War der große
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