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Der König Der Komödianten: Historischer Roman

Titel: Der König Der Komödianten: Historischer Roman
Autoren: Charlotte Thomas
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sterben! Zweiundsechzig ist dafür kein Alter!«
    »Siebenundsechzig«, murmelte ich.
    »Siebenundsechzig«, sagte Pater Anselmo. »Vittore war siebenundsechzig.«
    »Ganz recht«, sagte der Notar, als hätte er nie etwas anderes behauptet. »Und wenn ich davon sprach, dass es ein Segen war, so meinte ich damit natürlich nicht sein Hinscheiden, sondern lediglich die Tatsache, dass eine Reise nach Venedig Unheil über den Jungen bringen könnte. Als ich das letzte Mal mit Messèr Ziani darüber sprach, war er noch derselben Meinung.«
    »Das kann ich bestätigen«, warf der Prior ein. »Denn auch bei meinem letzten Gespräch mit ihm vertrat er den Standpunkt, dass der Junge auf dem Land gut aufgehoben ist. Hm, ob wir nicht vielleicht jetzt doch einen kleinen Schoppen …« Hoffnungsvoll blickte er zur Tür, doch wieder sprach der Notar weiter, als hätte es keinen Einwurf gegeben. »Nicht umsonst hat Messèr Ziani sich damals so völlig von der zivilisierten Welt zurückgezogen. Das Wohl seines Schützlings lag ihm am Herzen, deshalb ging er in diese Einöde.«
    »Ins Niemandsland«, bekräftigte der Prior.
    »Nun, unser Dorf mag sehr klein sein und ein wenig abseits liegen«, sagte Pater Anselmo beleidigt. »Aber unser Leben ist gewiss nicht primitiver als das der Menschen in der Stadt.« Er reckte sich. »In unserer Kirche haben wir ein echtes Fresko! Von einem Maler aus Padua!«
    Der Notar seufzte. »Euer Fresko ändert nichts daran, dass Padua einen Tagesritt von Eurem Dorf entfernt ist.«
    Das stimmte leider. Man hätte noch hinzufügen können, dass zwischen der Kirche mit dem echten Fresko und unserem Gut eine weitere Stunde strammen Fußmarsches lag. So winzig das Dörfchen war – im Vergleich zu unserem Landgut stellte es ein Zentrum urbaner Betriebsamkeit dar. Hier oben in den Hügeln gab es nichts außer dem alten Herrenhaus, ein paar nicht minder alten Ställen und Schuppen, einige Äcker und Weiden und Haine, und darumherum schier endlose Weiten unberührter Natur. Einöde war eine durchaus treffende Bezeichnung dafür, sogar dann, wenn man, so wie ich, nichts anderes kannte.
    Drei Mal in all den Jahren hatte Onkel Vittore mich mit nach Padua genommen, oder genauer, er hatte es tun wollen. Das erste Mal war ich acht Jahre alt gewesen und hatte auf halber Strecke die Masern bekommen, sodass wir wieder umkehren mussten. Das zweite Mal, zwei Jahre später, waren wir Wegelagerern in die Hände gefallen, die Onkel Vittore um seine gesamte mitgeführte Barschaft gebracht und ihn obendrein verprügelt hatten, sodass wir anschließend von Glück sagen konnten, mit dem Leben davongekommen zu sein.
    Beim dritten Mal schließlich, im vergangenen Jahr, hatte Onkel Vittore Schmerzen in der Brust bekommen, kaum dass wir das Dorf hinter uns gelassen hatten. Auch diese Reise nach Padua war daher äußerst kurz gewesen.
    Danach hatten wir nicht mehr über Padua geredet. Stattdessen hatte ich begonnen, über den Krieg zu sprechen, genauer über die Möglichkeit, in selbigen zu ziehen, falls einerausbräche, um auf diese Weise ein wenig mehr im Land herumzukommen als bisher, worauf Onkel Vittore mir schließlich die Venedigreise in Aussicht gestellt hatte. Wenn schon, denn schon, hatte er gemeint, und dann hatte er noch eine rätselhafte Bemerkung dazu gemacht, die ich nicht weiter beachtet hatte, die mir aber nun, da die drei Männer dort unten über Venedig sprachen, wieder in den Sinn kam.
    »Du bist fast achtzehn und längst ein Mann«, hatte Onkel Vittore gesagt und mich dabei von unten herauf – er war einen Kopf kleiner als ich – auf seine halb lustige, halb melancholische Art angeschaut. »Ich kann dich nicht für alle Zeiten vor Venedig verstecken. Ich dachte, ich könnte und sollte es. Aber ich habe meine Meinung geändert, denn manchmal ist es besser, sein Schicksal zu suchen, statt vor ihm zu fliehen. Die Zeit dafür ist gekommen.«
    »Ihm war daran gelegen, den Jungen von der Stadt fernzuhalten«, sagte der Notar zu Pater Anselmo. »Das haben wir für den Fall seines Ablebens notariell beurkundet.«
    Er hat seine Meinung geändert!, wollte ich rufen, doch ich besann mich und hielt den Mund, damit mir nichts von der Unterhaltung entging.
    »Er hat alle nötigen Verfügungen für eine Überstellung des Mündels in unser Kloster getroffen«, bestätigte der Prior beflissen. »Schon vor Jahren. Er wollte, dass wir uns um alles kümmern.« Er schnüffelte leicht. »Ich finde, es riecht nach Essen. Nach kaltem
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