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Der kleine Wassermann

Der kleine Wassermann

Titel: Der kleine Wassermann
Autoren: Otfried Preußler
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Brunnenmann und das Brückenweiblein von der Sankt-Nepo-muks-Brücke drängten sich auch um das Binsenkörbchen und riefen das Gleiche.
    Aber nach einer Weile hob dann der Brunnenmann mit dem weißen Bart seine Hand und sagte: „Hört auf mit dem Durcheinandergerufe! Jetzt wollen wir unserem kleinen Wassermann Glück wünschen!"
    „Recht so!", stimmten die anderen zu. Und nun wünschten sie, schön nach der Reihe, dem kleinen Wassermann Glück und Gesundheit und langes Leben und alles, was man als kleiner Wassermann brauchen kann.
    Der Moormann aber griff insgeheim in die Tasche und zog seine Flöte hervor. Und zuletzt, als die Reihe an ihm war, da sagte er: „Junge, ein fröhliches Herz sollst du haben!" Dann spitzte er flugs die Lippen und setzte die Flöte an.

    Hei, wie der Moormann dem kleinen Wassermann aufspielte!
    Lustig war das zu hören - und lustig zu sehen! Aus jedem Flötenloch, das er aufdeckte, stieg nämlich immer zugleich mit den Tönen ein dünner bräunlicher Wasserfaden empor. Und weil sich der Moormann beim Spielen verneigte und wiegte und drehte, wehten die Fäden wie  eine Schleppe der Flöte nach - und es schien, dass sie tanzten.
    Da nahmen sich die dreizehn Wassermänner an den Fäden ein Beispiel und tanzten mit ihren Wassermannfrauen gleich mit. Und der Brunnenmann mit dem weißen Bart und das Brückenweiblein von der Sankt-Nepomuks-Brücke fassten sich ebenfalls bei den Händen und drehten sich auch mit im Kreis.
    Doch plötzlich blieben sie alle stehen, wie angewurzelt, und staunten.
    Sie staunten den kleinen Wassermann an.
    Der war aus dem Binsenkörbchen herausgekrabbelt und schwamm nun, mit Armen und Beinchen rudernd, wohlgemut um den Moormann herum.
    „Ist das möglich?", fragte der Wassermannvater verwundert. „Der Hemdenmatz schwimmt schon?"
    „Du siehst es ja", sagte der Brunnenmann leise und strich sich den weißen Bart.
    Mehr wusste auch er nicht zu sagen.

Dreh dich, Kleiner!
    Schwimmen konnte der kleine Wassermann bald wie ein Großer, er hatte ja zeitig genug damit angefangen. Auch sprechen lernte er rasch. Das alles geht bei den Wassermannkindern viel schneller als bei den Menschen. Es muss wohl am Wasser liegen.
    Zuerst durfte der kleine Wassermann nur in der Wohnstube herumschwimmen. Später ließen ihn seine Eltern auch auf den Hausflur und in die Küche, da guckte er sei ner Mutter in alle Töpfe. Aber am liebsten schwamm er an eines der Fenster, schob die Vorhänge zurück und schaute hinaus in das grüne Wasser. Manchmal schössen die Fische dicht an den Scheiben vorbei, manchmal kam auch ein Teichmolch vorübergerudert. Und manchmal sah er sogar seinen Vater oder die Mutter, wie sie gerade davon-schwammen oder zum Wassermannhaus zurückkehrten.
    Bald aber fand es der kleine Wassermann langweilig, immer nur hinter verschlossenen Fenstern zu stehen, und er fragte seinen Vater: „Warum darf ich nicht hinaus?"
    „Ja, warum?", gab der Wassermannvater zur Antwort. „Weil man im bloßen Hemd eben nicht vor die Tür darf, das schickt sich nicht. Aber ich werde dir etwas zum Anziehen besorgen, du bist ja nun groß genug."
    Er brachte dem kleinen Wassermann gleich am nächsten Morgen ein Paar funkelnagelneue Hosen von glänzender Fischhaut, dazu eine schilfgrüne Jacke, eine knallrote Zipfelmütze und selbstverständlich auch ein Paar richtige Wassermannstiefel aus gelbem Leder. Der kleine Wassermann schlüpfte hinein, die Sachen passten wie angegossen. Danach rief der Wassermannvater die Mutter herbei.
    „Sieh nur!", empfing er sie, stolz auf den kleinen Wassermann weisend. „Jetzt haben wir keinen Hemdenmatz mehr! Wir haben von heute an einen Jungen, mit dem man sich überall zeigen kann. Wie gefällt er dir?"
    „Ach", seufzte die Mutter. „Es hätte wohl noch eine Weile Zeit gehabt mit den Kleidern, er ist ja erst ein paar Wochen alt. Aber ich weiß schon, euch Männern können die Kinder nicht schnell genug groß werden."
    „Ja", gab der Wassermannvater zurück, „und ihr Frauen, ihr möchtet am liebsten, dass euch die Kinder zeitlebens am Schürzenband hängen! Du weinst doch nicht etwa?"

    „Nein, nein!", rief die Wassermannmutter und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Das kommt dir gewiss nur so vor." Dann sagte sie: „Irgendwann müssen die Kinder ja groß werden, freilich, da hast du ganz recht. Und die schilfgrüne Jacke steht ihm gut zu Gesicht, unserm Jungen."
    „Na also", sagte der Wassermannvater, „warum denn nicht gleich so?
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