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Der kleine Wassermann

Der kleine Wassermann

Titel: Der kleine Wassermann
Autoren: Otfried Preußler
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das ekelte ihn.
    Er träumte in dieser Nacht, dass der Fisch mit den vielen Augen zu ihm in die Schlafstube kam. Er konnte nicht rufen und konnte sich nicht bewegen. Weil er ganz steif war, so steif wie der Bettpfosten, musste er alles mit sich geschehen lassen, was ihm der Fisch mit den vielen Augen antat. Er hörte ihn sagen: „Da hast du ein paar von den blinden Augen, die ich nicht brauchen kann! - Hier eins hin - da eins hin - dort eins hin ..."
    Und er spürte, wie ihm der schreckliche Fisch seine kreisrunden, hässlichen Augen einsetzte: eins auf die Stirn und eins auf jede Wange und eins auf das Kinn.
    „Und das nächste? Das nächste kommt auf die Nasenspitze, mein Freundchen! - So, lass dich ansehen! - Fein schaust du aus. Beinahe schon wie ein richtiges Neunauge!"
    „Nein!", schrie der kleine Wassermann auf. „Nimm die Augen aus meinem Gesicht! Nimm sie weg, du! Ich kann mich jetzt wieder bewegen, ich kann -"
    „Aber Junge, was hast du denn?", fragte der Wassermannvater und beugte sich über das Bett. „Du schreist ja, als würdest du umgebracht! Hat dir denn so etwas Schlimmes geträumt?"
    „Etwas Furchtbares!", stöhnte der kleine Wassermann außer sich. „Etwas Schreckliches war es! Ein Neunauge sollte ich werden!"
    „Ein Neunauge?", meinte der Wassermannvater und ließ sich die ganze Geschichte erzählen. Dann strich er dem kleinen Wassermann über das Haar.
    „Weißt du was?", schlug er vor. „Ich denke, du solltest den Rest der Nacht mit in meinem Bett schlafen. Aber der Mutter erzählen wir lieber nichts von dem Fisch mit den vielen Augen und dass du so schrecklich geträumt hast. Sonst sagt sie mir wieder, du seist eben doch noch zu klein, um allein durch den Weiher zu strolchen."

Schwimmhäute haben sie auch nicht!
    Die Tage kamen, die Tage gingen. Jeden Tag schien die Sonne ein Weilchen länger über dem Mühlenweiher und jeden Tag wurde der kleine Wassermann ein bisschen älter.
    Eines Morgens sagte der Wassermannvater zu ihm: „Komm mit, mein Junge, wir wollen ans Ufer schwimmen. Es wird Zeit, dass du deine Nase einmal hinaussteckst!"
    Da schwammen sie also ans Ufer und der kleine Wassermann steckte zum ersten Mal in seinem Leben den Kopf aus dem Wasser. Gleich aber zog er ihn zurück.
    „Warum tust du das?", fragte der Wassermannvater.
    Der kleine Wassermann rieb sich die Augen.
    „Es blendet mich", sagte er. „Ist es dort oben immer so hell?"
    „Wenn die Sonne scheint, ist es dort oben immer so hell", gab ihm der Wassermannvater zur Antwort. „Aber du wirst dich daran gewöhnen. Du musst nur die Augen zukneifen, wenn du auftauchst, dann geht es. Oder, noch besser, halt die Hände vor - so ..." Und er zeigte dem kleinen Wassermann, wie er die Hände vor das Gesicht halten sollte.
    Sie tauchten zum zweiten Mal auf.
    Vorsichtig blinzelte der kleine Wassermann durch die Schwimmhäute zwischen den Fingern hindurch.

    Er kannte ja nur das warme, goldgrüne Dämmerdunkel des Mühlenweihers, das volle Sonnenlicht schmerzte ihn. Aber langsam, ganz langsam gewöhnten sich seine Augen daran und er schaute sich neugierig um. „Sieh nur, die lustigen Fischlein dort!", rief er als Erstes.
    „Das sind keine Fischlein", sagte der Wassermannvater, „das sind zwei Libellen."
    „Aber sie schwimmen doch!", meinte der kleine Wassermann.
    „Nein", erklärte der Wassermannvater, „sie fliegen. Das ist etwas anderes. Manches ist anders hier oben."
    „Vor allem das Wasser ist anders", sagte der kleine Wassermann naseweis. „Merkst du nicht auch, dass es anders ist? Heller und wärmer und dünner ..."
    „Das ist doch kein Wasser!", entgegnete lächelnd der Vater.
    „Was dann?", rief der Junge verdutzt.
    „Das ist Luft", antwortete der Vater.
    „Luft?", wiederholte der Junge. „Was ist das?"
    „Etwas, worin man nicht schwimmen kann", sagte der Wassermannvater.
    Er bahnte dem kleinen Wassermann einen Weg durch das Schilf, das am Ufer stand, und der kleine Wassermann folgte ihm.
    Als sie das Schilf hinter sich hatten, machte der kleine Wassermann große Augen. Da sah er zum ersten Mal eine Wiese, zum ersten Mal Blumen, zum ersten Mal einen Baum. Und er spürte zum ersten Mal, wie es ist, wenn der Wind weht und einem das Haar zerzaust.
    Alles war anders hier oben als unten bei ihnen im Teich.
    Alles war neu und verwunderlich, was er da sah. Er fragte den Vater danach und der Vater erklärte ihm alles, so gut er es wusste.
    Dann plötzlich streckte der kleine Wassermann seine Hand
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