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Der kleine Wassermann

Der kleine Wassermann

Titel: Der kleine Wassermann
Autoren: Otfried Preußler
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den Fenstern des Wassermannhaus es hinaus.
    Endlich, nach fast einer Woche, sagte der Wassermannvater: „Ich habe bei deiner Mutter ein gutes Wort für dich eingelegt, Junge. Heut regnet es oben, da will ich dich wieder hinauslassen. Aber versprichst du mir, dass du beizeiten zurückkommst?"
    „O ja, das verspreche ich dir!", rief der kleine Wassermann eifrig und schlüpfte sofort in die Stiefel. „Ich will mir auch ganz gewiss keine trockenen Füße mehr holen!"
    „Das dürfte dir heute auch schwerfallen", meinte der Wassermannvater. „Heut sorgt schon der Regen dafür, dass du nass bleibst."
    „Der Regen? Wer ist denn das?", wollte der kleine Wassermann wissen.
    „Ja, siehst du", gab ihm der Wassermannvater zur Antwort, „der Regen, das ist unser bester Freund. Wenn der
    Regen nicht wäre, dann gäbe es bald keinen einzigen Wassermann mehr auf der Welt."
    „Und warum nicht?" Der kleine Wassermann hätte das gern noch erfahren. Aber da hörte er die Mutter kommen und sagte sich: Jetzt aber nichts wie hinaus! Es ist besser, ich mache mich rechtzeitig dünn!
    Und das tat er auch. Schwupp!, war er draußen und schoss um die Ecke des Wassermannshauses davon.
    Hei, war das schön, einmal wieder durchs Wasser zu flitzen! Es kam ihm jetzt vor, als hätte er eine Ewigkeit lang in der Stube gesessen. Aus lauter Freude und Übermut schwamm er gleich einmal quer durch den ganzen Weiher und wieder zurück. Da stoben die Fische erschrocken zur Seite, der Schlamm wirbelte auf, das Teichgras wehte hinter ihm her und die Muscheln klappten entsetzt ihre Schalen zu.
    „So!", rief der kleine Wassermann, als er sich ausgetollt hatte, „und jetzt hinauf!"
    Schön langsam, weil er außer Atem war, ließ er sich steigen. Das Wasser um ihn wurde wärmer und heller. Augen zu!, dachte er, dass mich nicht wieder die Sonne blendet! Aber als er dann oben war und die Augen vorsichtig öffnete, da empfing ihn kein schmerzendes, grelles Licht wie an anderen Tagen.

    Die Sonne war nirgends zu sehen, der Himmel war wie  mit grauen Tüchern verhangen und rings um den kleinen Wassermann fielen von irgendwoher aus der Höhe Unmengen winziger Steinchen ins Wasser. Es war, als ob jemand mit vollen Händen Sand auf den Weiher streute. Jedes Mal, wenn so ein Steinchen ins Wasser fiel, platschte es. Und das Platschen nahm gar kein Ende, weil es so viele Steinchen waren, die da heruntergeprasselt kamen.
    Der kleine Wassermann hielt seine Hände flach empor, er wollte ein paar von den Steinchen auffangen. Aber da merkte er bald, dass es Tropfen waren. Das machte ihm Spaß, denn sie kitzelten ihn. Manchmal traf ihn ein Tropfen sogar auf die Nase, das fand er besonders lustig.
    Dann aber fiel ihm auf einmal wieder der Regen ein, von dem ihm der Vater erzählt hatte. Richtig, der Regen! Dem musste er gleich Guten Tag sagen gehen, er war ja ihr bester Freund. Und er dachte, der Regen sei eine Art Wassermann oder so etwas Ahnliches, und er beschloss, ihn zu suchen. Er wird wohl wahrscheinlich am Ufer sein, sagte er sich, und dort irgendwo sitzen.
    Wie sehr aber staunte der kleine Wassermann erst einmal, als er an Land stieg! Denn heute war alles, was sonst immer trocken gewesen war, wunderbar nass: das Gras und die Steine, der Weg und die Sträucher, die Blumen, das Feld und die Stauden. Die Blätter der alten Weide trieften vor Nässe, an ihrem Stamm lief das Wasser herunter, die Rinde war dunkel geworden und glänzte.
    Der kleine Wassermann atmete tief. Ah, wie die Luft heute schmeckte! Sie schmeckte nach feuchter Erde und fauligem Holz, nach Kräutern und nassem Laub. Und sehr angenehm kühl war sie auch. Ein einziges großes Rauschen erfüllte die ganze Welt. Und der kleine Wassermann dachte: So müsste es immer sein, so gefällt es mir.
    Und er dachte auch: Heut besteht keine Gefahr, heut werde ich ganz gewiss keine trockenen Füße bekommen.
    Wo aber steckt nun der Regen?
    Der kleine Wassermann sah sich am Ufer um, aber nirgends war jemand zu erblicken, kein Mensch und kein Tier, gar niemand. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als unter die triefenden Büsche zu kriechen und Nachschau zu halten, ob sich der Regen nicht am Ende dort irgendwo versteckt hatte. Aber soviel er auch suchte, er fand ihn nicht; nicht unter den Sträuchern und nicht im Schilf. Da beschloss er, den Regen zu rufen.
    „He!", rief er laut durch die hohlen Hände. „He, Regen, wo bist du?!" Er spitzte die Ohren und lauschte auf Antwort. Aber er hörte nur immer das Rauschen
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