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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay
Autoren: Chandrahas Choudhury
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Tisch. Seine Wette wird bestätigt, und man teilt ihm mit, dass es gerade ein spezielles Feiertagsangebot gebe. Ob er bei dieser oder einer anderen Wette den gesetzten Betrag um den gleichen Betrag auf Kredit aufstocken wolle?
    Den Einsatz verdoppeln? Im Kopf des Mannes beginnen die Alarmglocken zu schrillen, er weiß, dass die Sache aus dem Ruder zu laufen droht, aber wie ein Kind, das die Finger nicht von den Süßigkeiten lassen kann, erklärt er sich einverstanden und unterschreibt, denn große Taten, so redet er sich ein, erfordern nun mal einen gewissen Wagemut. Er kehrt an seinen Arbeitsplatz zurück, dieser Freund von Arzee, und wie er dann so mit pochendem Herzen in seinem Zimmer hin- und hereilt, während das Transistorradio auf dem Fensterbrett knackt und knistert, ist ihm, als stünde er selbst in Melbourne auf dem Spielfeld. Und alles läuft bestens: Tendulkar hat schon siebenundachtzig Runs und ist immer noch im Spiel, Lee dagegen ist nach acht Overs mit sechzig Runs ausgeschieden – vielleicht sollte er sich aufs Gitarrespielen verlegen.
    Doch genau in diesem Moment, als seine Träume konkrete Formen und Farben anzunehmen beginnen, dringt ein vielstimmiger Aufschrei aus dem Transistorradio, und alles ist plötzlich anders. Das Undenkbare ist geschehen: Tendulkar ist draußen! Und für Tendulkar ist das kein Problem, seine nächste Gelegenheit wird bald kommen, und er kriegt sein Gehalt, ob er nun hundert Punkte macht oder mit Null ausscheidet. Für den unerfahrenen, hoffnungsfrohen, vertrauensvollen, bedürftigen Spieler in Bombay aber ist es ein vernichtender Schlag. Er ist jetzt bis über die Ohren verschuldet – und es fällt ihm wie Schuppen von den Augen, wie dumm er gewesen ist. Ach, Sachin!
    Was soll der Mann jetzt tun? Lässt sich der Schaden irgendwie begrenzen? Der vom Schicksal geschlagene Mann geht in seinem Zimmer auf und ab, denkt nach und kommt zu folgendem Schluss: Es ist sinnlos, sich wegen der fünfRiesen zu grämen, die er auf den Tisch geblättert hat, die hat er ganz klar verloren. Aber was ist mit den fünf, die er auf Kredit verwettet hat? Das Mindeste, was das Syndikat tun kann – schließlich scheffeln die ja eh das Geld –, ist, das zusätzliche Geld abzuschreiben, Geld, das ohnehin nie wirklich, sondern nur als Eintrag in einem Hauptbuch existiert hat. Genau das sagt er ihnen, als sie am nächsten Tag kommen, um zu kassieren. Aber nein – diese Schufte wollen unbedingt die fünf Riesen haben, die er ihnen schuldet! Er jammert und bettelt, und sie sagen, na gut, er könne sich etwas Zeit lassen, aber zahlen müsse er. Doch da sie sich ihm gegenüber nicht ehrenhaft verhalten haben, sieht er nicht ein, warum er das Ganze nicht so lang wie möglich hinauszögern soll. Ich kann heute nicht zahlen – das ist seine Antwort, wann immer sie ihn anrufen. Morgen vielleicht, aber heute nicht.
    Das Komische war: Jedes Mal, wenn Arzee anderen diese Geschichte so erzählte, als wäre der Protagonist ein Bekannter von ihm, waren sich alle einig, dass der Mann es schwer hatte, und ihr Mitleid war sehr wohltuend. Doch sobald er verriet, dass er selbst dieser Mann war, änderten sie ihre Haltung und erklärten, er sei selbst schuld, warum habe er auch versucht, sich derart über seine Größe und Position zu erheben. Hier trat ein wichtiger Aspekt der menschlichen Natur zutage, nämlich dass man im allgemeinen Fall eine Meinung, im speziellen Fall hingegen genau die entgegengesetzte Meinung vertreten konnte, ohne sich auch nur eine Sekunde lang Gedanken über diesen Widerspruch zu machen. Wenn man irgendjemandem die Schuld in die Schuhe schieben konnte, tat man es, und je schwächer der betreffende Mensch war, desto strenger die Bewertung. Aber nichts konnte Arzee von der Überzeugung abbringen, dass er Grund zur Klage hatte, einerweiteren zusätzlich zu all den anderen ans Leben adressierten Klagen, die er in seinem geistigen Beschwerdebuch bereits verzeichnet hatte, und so blieb er bei seinen Ausflüchten und Ausweichmanövern.
    Das Syndikat hatte daraufhin Deepak auf Arzee angesetzt, und dieser tauchte nun seit einem halben Jahr sporadisch in Arzees Leben auf wie ein böser Traum, mal zweimal die Woche, mal vier Freitage hintereinander nicht. Wenn er Deepak eine Weile lang nicht gesehen hatte, dachte Arzee, das Syndikat habe aufgegeben, er habe sich befreit. Doch es dauerte nie lang, bis seine Hoffnungen wieder zunichtegemacht wurden, und je länger er sich zu entziehen versuchte,
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